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Blog 849 – 04.08.2024 – Fitzelkatze, Videoabend und Weltstadtgedränge

Ich habe Sommerferien! Und genau so fühle ich mich, auch wenn ich in dieser Woche noch letzte Termine im Kalender stehen habe. „Völlige“ Ferien sind es erst, wenn überhaupt keine Termine mehr im Kalender stehen und ich nicht mal mehr weiß, welcher Wochentag gerade ist. Das werde ich so komplett aber nicht haben können, denn ich werde weiterhin an jedem Mittwochvormittag bei meinem Vater sein. Das wäre anders, wenn ich mich für vier Wochen an einem entfernten Urlaubsort befinden würde. Aber meinem Vater zu sagen, dass ich zwar zuhause bin, einen Monat lang aber nicht bei ihm vorbeikomme und er mich auch nicht anrufen soll, weil ich Ferien habe, erscheint mir doch etwas krass. Ich werde also „fast völlige“ Ferien haben, außer mittwochs.

Vormittags räume und sortiere ich, weil ich genervt von der hohen Ansammlungsdichte von Gestapeltem bin und jetzt mal in aller Ruhe Zeug verringern kann. Auch wenn das eine eher blöde Ferienbeschäftigung ist, tut mir das gut. Nachmittags hänge ich am Pool. Quasi. Ich habe ja keinen. Aber ab dem Mittagessen mache ich, was ich will. Zum Beispiel im gerade mal sonnigen Garten sitzen und lesen. Oder stundenlang im Hof an meiner Katze nähen und dabei Podcast hören. Zwischendurch rudere ich im Zimmer herum. Alles ist sehr entspannend.

Die Katze ist ganz schön kniffelig. Das liegt vor allem daran, dass ich eine relativ kleine Katze mit einer mir unvertrauten Methode baue. Es gibt erstaunlich viele Stellen, bei denen ich nicht weiß, wie ich die machen kann. Aber ich arbeite Stück für Stück weiter und verdränge die Gedanken über Problemstellen, bis ich vor ihnen stehe. Manchmal ergibt die Lösung eines Problems ein neues. Ich habe kein Foto von Mechtild Nienabers Katze, was gut ist, denn dann gucke ich nicht immer wieder, wie sie es gemacht hat, sondern überlege, wie ich es machen würde.

Aber hach, ich würde schon sehr gerne einen Katzenbaukurs bei ihr machen, halte die Wahrscheinlichkeit, dass sie überhaupt einen macht, aber für gering. Und die Möglichkeit, dass ich dann teilnehmen könnte, für noch geringer. Außerdem habe ich doch die Grundlagen für ein genähtes Gesicht bei ihr kennenlernen können. Das sollte ich doch auch auf eine Katze anwenden können. Die wird nicht so großartig werden wie die Katze von Mechtild, aber wenn es überhaupt eine Katze wird, ist doch alles wunderbar.


Am Mittwochvormittag bin ich – wie üblich – bei meinem Vater. Er war genervt von hoch und breit wuchernden Pflanzen in einem Beet und hat sie alle unten abgeschnitten. Die Wurzeln sollen auch noch raus. Ich gucke etwas traurig in die Biotonne, in der sich die Reste der dichten Salbei-, Rosmarin- und Lorbeerbüsche befinden.

Mein Vater möchte, dass das Beet komplett umgegraben wird und dann „Kräuter zum Kochen oder sowas“ gepflanzt werden. Dafür haut er ahnungslos Rosmarin, Salbei und Lorbeer raus. Das finde ich dann schon wieder lustig.


Am Abend treffen sich die „Tod auf dem Nil“-Theaterspieler – außer einem, der sich gerade in Paris befindet und am Eifelturm olympisches Beachvolleyball ansieht – und wir gucken gemeinsam unseren Videomitschnitt. Ich denke vorher, dass ich mir das Stück jetzt nicht unbedingt sofort nochmal als Video ansehen muss, aber in der Gruppe ist es ja OK. Dann wird es aber richtig gut. Wir sitzen auf den Plätzen, auf denen die Zuschauer saßen, auf der Leinwand sehen wir den etwas verkleinerten Blick auf die Bühne, und im Raum ist es so heiß, wie es oft in diesem unklimatisierten Raum ist. Authentische Bedingungen.

Die meisten – auch ich – haben das Video noch nicht gesehen oder nur mal kurz reingeguckt. Darum sind viele Szenen, die von Mitspielern hinter der Bühne nur akustisch erlebt wurden, als Bühnenbild spannend und manchmal überraschend. „Ach, darum gab es da immer die Pause zwischen den Sätzen!“, wird gerufen. Wir lachen, machen zwischendurch Bemerkungen und sprechen bei markanten Stellen laut mit: „Kellner!!“ Bei der letzten Szene sind wir überrascht, wie spannend die auf der Bühne anzusehen ist. Backstage war das immer nur ein langes Gespräch zwischen zwei Leuten, währenddessen wir anderen im Hof abgewartet, leise geplaudert und schon mal den Sekt für danach geöffnet haben. Als wir uns am Ende des Abends noch kurz unterhalten, kommt die Idee auf, dass wir uns doch hin und wieder zwanglos einen Termin wählen und zusammen das Video einer älteren oder auch ganz alten Produktion ansehen könnten. Leinwand, Beamer und Lautsprecher aufstellen – und los geht’s. Ende August steht sowieso schon ein weiterer Video-Anseh-Termin fest, aber das könnten wir ja ausweiten.


Am nächsten Morgen fahre ich sehr früh schon wieder zu meinem Vater. Ich habe Ferien und es ist kein Mittwoch, aber er hat einen Arzttermin in einem Nachbarort, zu dem ich ihn abholen, begleiten und wieder nach Hause fahren muss. Und will, denn das kann ich ihn nicht alleine machen lassen. Ich stelle mich auf übliche Wartezeiten ein, aber es geht unerwartet schnell. Nur dass es keine klare Diagnose gibt. Vermutlich ist der Auslöser eher das Alter als ein medizinischer Grund. Neuer Termin in drei Monaten. Auf dem Rückweg holen wir im Supermarkt drei Packungen Eis für ihn. Ist das wenigstens wieder aufgefüllt. Mittags bin ich wieder Zuhause. Schon wieder ein halber Tag Ferien weg.

Aber hurra! Ich kann zum ersten Mal wieder Schuhe tragen! Der kleine Zeh ist immer noch deutlich angeschwollen und auffällig rot, passt zusammen mit seinen Zeh-Kollegen aber wieder in einen normalen Schuh. Nach vier Wochen! Endlich ist Schluss mit den Plastikclogs zu allen Gelegenheiten.


Beim Dreh in Polen vor einigen Wochen gab es als Zwischensnack kalte Rote-Beete-Suppe mit Dill und gekochtem Ei. Die hat mir so gut geschmeckt, dass ich sie seitdem unbedingt mal machen möchte. Jetzt stelle ich fest, dass es gar kein polnisches, sondern ein traditionell litauisches Gericht mit Kefir oder Buttermilch ist. Die pinke Farbe machen die Rote Beete Stückchen ganz alleine. Mjammi. Die werde ich öfter mal machen.


Der Katze nähe ich inzwischen Augenlider an, was eine kleinteilige Fitzelarbeit ist, bei der ich mich ungewohnt oft in den Finger steche. Es ist aber auch alles eng und schwierig zu nähen. Als die Lider endlich dran sind, finde ich den katzigen Gesichtsausdruck gut, die Unterlider aber zu massiv.

Kurzentschlossen trenne ich sie wieder ab. Wenn sie mich jetzt schon stören, werde ich sie nie gut finden. Ich habe doch Zeit. Mit Kompromissen zu leben, um schnell fertig zu sein, wäre völlig falsch. Immerhin geht das Abtrennen deutlich schneller als das Annähen.


Der Frankfurter Sohn will sich am Wochenende bei uns mit Freunden treffen und fährt darum am Samstagmorgen per Regionalbahn aus Frankfurt los. Wir machen aus, dass wir ihm mit dem Auto bis Koblenz entgegenkommen. Ansonsten würde er mit Umsteigezeiten und zwei weiteren Regionalbahnen noch weitere zweieinhalb Stunden brauchen, um in unsere Nähe zu kommen. Seine Bahn hat seit Mainz eine Viertelstunde Verspätung und er schreibt aus dem Zug, dass es rappelvoll ist, immer voller wird und er die ganze Zeit eng gequetscht steht.

Am eher gemütlichen, mittelgroßen Koblenzer Hauptbahnhof wird angesagt, dass der Zug aus Frankfurt wegen seiner Verspätung nicht auf Gleis 1, sondern auf Gleis 3 einfahren wird. Während wir uns auf den Weg dorthin machen, wird durchgesagt, dass der Zug aus Frankfurt jetzt doch nicht auf Gleis 3, sondern auf Gleis 4 halten wird. Der Zug NACH Frankfurt wird auf Gleis 3 abfahren. Wir kommen unerwartet in eine Völkerwanderung. Eilig und dicht gedrängt laufen sehr viele Menschen zu den neu angesagten Bahnsteigen. Die einen zu Gleis 4, wo der Zug aus Frankfurt halten wird, die anderen zu Gleis 3, wo der Zug nach Frankfurt abfahren wird.

Zwei Frauen mühen sich ab, ihre schweren E-Fahrräder die Treppe hoch zu Gleis 3 zu tragen und wir helfen ihnen spontan. Als wir mitten auf der Treppe sind, kommen uns plötzlich von oben Menschenmassen entgegen. Mühsam drängen wir uns durch und erfahren oben, dass die Bahn nach Frankfurt jetzt doch nicht von Gleis 3, sondern von Gleis 5 abfährt. Dort streben jetzt die Leute hin. Also umgedreht und in der Masse die Treppe wieder runter. Es ist unfassbar, was los ist. Um 11 Uhr in Koblenz!

Als wir an Gleis 4 stehen, kommt dort – wie angesagt – der Zug aus Frankfurt an. Der ist aber anscheinend auch der Zug NACH Frankfurt, der hier seine Endstation hat und dann zurückfährt, laut Durchsage aber von Gleis 5 abfahren soll. Chaos! Warten an Gleis 5 oder einsteigen bei Gleis 4? Der Bahnsteig ist voll mit Leuten, von denen viele vermutlich zum Frankfurter Flughafen wollen. Die Menschen blockieren die Zugtüren, so dass die Passagiere aus Frankfurt zunächst nicht aussteigen können. Koffer werden gerollt und irgendwo abgestellt, und hektisch werden wir von nicht-deutsch-sprechenden Menschen gefragt: „Fränkfort? Fränkfort??“ Es dauert, bis sich herumspricht, dass der haltende Zug auf Gleis 4 der Zug nach Frankfurt ist, der laut letzter Durchsage immer noch von Gleis 5 abfahren soll. Inzwischen ist es so laut auf dem Bahnsteig, dass eine neue Durchsage nicht mehr gehört werden könnte. Wie diese vielen Menschen und ihre Koffer überhaupt in den Zug passen sollen, bleibt die Frage, was den Stress und die Anspannung der Reisenden erhöht.

Als wir mit dem Sohn aus dem Bahnhof raus sind, hole ich lachend Luft. New York, Mumbai oder der Koblenzer Hauptbahnhof – sie alle haben das Flair einer gedrängt vollen Millionenstadt. Reisestress und Menschenmassen habe ich damit für diese Ferien genug gehabt, jetzt genieße ich weiterhin die ruhigen und entspannten Tage Zuhause.