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Blog 918 – 30.11.2025 – Metallhalter, Eselsohren, Weltraumlicht und Sterne-Residenz

Der Sonntag beginnt mit einem Besuch im Krankenhaus. Mein Vater wirkt ein bisschen fitter. Seine Stimme ist fast normal, allerdings strengt ihn das Sprechen sehr an. Ich überrede ihn, das Mittagessen zu probieren und reiche einen Teelöffel mit etwas Kartoffelpüree und Soße. Es schmeckt ihm nicht, er verzieht das Gesicht und sagt: „So was nicht“. Ich sage: „Papa, du musst essen, damit du kräftiger wirst, auch wenn es nicht so gut schmeckt.“ „Ich weiß schon, was ich esse“, schließt er das Gespräch etwas ruppig ab, kneift die Lippen zusammen und schläft fest ein.

Am Nachmittag bin ich wieder zuhause und streiche die Decke im Musikzimmer fertig. So langsam wird es.


Gleich am nächsten Morgen sortiere und räume ich im Keller weiter und streiche an einigen Stellen hinter den vorgerückten Regalen. Ich muss zum Glück nicht die kompletten Wände streichen, sondern nur verschönernd über Teilbereiche pinseln. Ab dem Mittag ist mein Kreativnachmittag geplant, darum arbeite ich am Vormittag konzentriert und schaffe viel. Nur wenn ich weiß, dass ich auch andere Sachen erledige, kann ich mir ohne schlechtes Gewissen meine freie Zeit nehmen. Was für eine blöde Einstellung. Daran muss ich noch arbeiten.

Bis 14 Uhr habe ich viel geschafft und sogar noch das Geschirr gespült. Gerade als ich mit meiner Kreativzeit loslegen möchte, klingelt das Telefon. Ich hatte am Vortag in der Uniklinik um ein Arztgespräch gebeten, damit wir mal erfahren, wie es aussieht, warum mein Vater immer noch in Corona-Isolation liegt und was geplant ist. Jetzt ruft eine freundliche Ärztin an und erklärt, dass mein Vater am Morgen nach Bad Neuenahr verlegt wurde. Das hätte mir auch jemand schon bei meinem gestrigen Besuch im Krankenhaus mitteilen können. Ich kann gerade noch meine Schwester informieren, die sich schon auf dem Weg nach Bonn befindet.

Der Krankenhausaufenthalt in Bad Neuenahr ist für zwei Wochen geplant. Die Betreuungskraft meines Vaters sitzt schon seit zehn Tagen alleine in seinem Haus und hat wenig zu tun. Ich telefoniere mit der deutschen Agentur, ob sie für die zwei Wochen nicht nach Hause fahren und ihre Familie wiedersehen könnte. Ihr Geld bekommt sie von uns weiter, denn wir wollen sie sicher zurückhaben, wenn mein Vater nach Hause kann. Die Agentur sieht kein Problem. Aber was möchte die Betreuungskraft? Weil ihre Deutschkenntnisse gering sind, kann ich ihr das nicht am Telefon erklären, ohne dass sie denken könnte, sie sei entlassen. Ich setze mich ins Auto – oh, menno, es ist mein Kreativnachmittag! – und fahre zu ihr, um ihr alles auf einem Zettel mithilfe von Bildern, Pfeilen und Daten zu erklären. Sie sagt, dass sie gerne für die zwei Wochen nach Hause möchte. Schon am Nachmittag hat die Agentur den Transport organisiert. Sie kann am nächsten Tag in einen polnischen Kleinbus steigen, in zwei Wochen wird sie zurückgebracht. Ich rufe sie nochmal an, um mich zu vergewissern, dass ihre polnische Agentur sie schon informiert hat. „Danke, Anettka“, sagt sie am Telefon gerührt und ihre große Freude ist zu hören.

Vor einigen Wochen hatte ich meinem Chef, Lehrer, Mentor, Kollegen, Freund … was auch immer … Bodo Schulte zugesagt, dass ich einige meiner Puppen für einen seiner Spielkurse zur Verfügung stelle. Jetzt klären wir kurz, wie viele Puppen er haben möchte. Es sind mehr als genug da. Ich habe allerdings keine guten Spielstäbe, die müsste er selber mitbringen. „Aber Halter in den Händen für die Spielstäbe haben die Puppen?“, fragt er. „Ja, die sind alle da.“ Nach dem Gespräch sehe ich schnell meine Puppen durch. Nicht alle sind für den Spielkurs geeignet. Manche sind im Charakter so speziell, dass sie zu wenig neutral sind, einige brauche ich noch für eigene Stücke und kann sie darum nicht verleihen. Trotzdem habe ich sofort mehr als zehn, die passen könnten. Ich brauche nur sechs bis sieben. Aber oh, nein! Die meisten von ihnen haben keine Halter in den Händen! Vermutlich weil das immer anstrengende und unangenehme Säge- und Schleifarbeit an Metall ist, die ich gerne auf „später“ schiebe. Auf das Später, das dann nicht kommt. Und jetzt? Es hilft nichts. Ich werde in dieser Woche noch Halter sägen, schleifen und sie in Puppenhände einbauen müssen. Natürlich könnte ich anrufen und sagen, dass es doch keine Halter gibt und das wäre wohl kein Problem, aber das ist mir dann auch zu blöd. Nee, die Arbeit, die ich mir vorher aus Bequemlichkeit gespart habe, muss ich eben jetzt nachholen. Da habe ich meinen eigenen Stolz. Und so ganz nebenbei werde ich danach Puppen mit Haltern haben. Ist ja auch schön.

Mein heutiger Kreativnachmittag ist inzwischen auf eine abendliche Stunde zusammengeschrumpft. Die ziehe ich aber durch und nähe Eselsohren. Vielleicht kann ich morgen Nachmittag noch etwas am Esel weiternähen. Ach nein, da werde ich Metallhalter aussägen müssen. Vermutlich fluchend.


Der nächste Vormittag beginnt wieder mit Kartons tragen und Aussortieren. Am Mittag bin ich bei meinem Vater. Er schläft immer noch viel, wirkt insgesamt etwas beweglicher, spricht aber wieder schwerfälliger.

Am Nachmittag suche ich die sieben Puppen aus, die ich zum Kurs schicken möchte. Eine hat Live-Hände und braucht darum keine Spielstäbe. Von den anderen sechs hat eine Metallhalter in beiden Händen, eine hat nur in der linken Hand einen, die anderen überhaupt keine. Ich muss neun Halter mit einer Handsäge aus einer Aluminiumschiene sägen und dann an der Maschine schleifen – was für eine blöde Arbeit. Das schaffe ich gar nicht an einem Nachmittag. Denke ich, aber ich säge mich verbissen durch, fluche seltsamerweise gar nicht, schleife, bohre Löcher und kann am frühen Abend am Tisch sitzen und die neun benötigten Halter in neun Puppenhände einbauen und alles wieder vernähen.

Danach mache ich anstelle eines Lieferscheines ein Foto der Reisegruppe und stecke alles zusammen in ein Paket. Das kann morgen weg. Durchziehen scheint mein Lebensmotto zu werden.

Inzwischen ist eigentlich Schlafenszeit, aber der Gatte ist bei einer Probe und wird erst später wiederkommen. Ich setze mich an meinen Esel und nähe ihm Plüsch ins Gesicht. Er soll überall grau und struppig werden. Eine gute Stunde später ist der Plüsch angepasst, festgenäht und an den Seiten mit der Schere gekürzt. Das Ergebnis gefällt mir überhaupt nicht. Der Esel ist viel zu plüschig und sieht sehr unfreundlich aus. Eher wie ein Mammut. Ich brauche nur fünf Minuten, dann ist alles wieder abgetrennt. Gut zu wissen, dass zu viel Plüsch nicht passt. Bei der nächsten Kreativzeit gehe ich wieder dran und dann mache ich es anders.


Am Donnerstagvormittag lege ich mit voller Kraft im Tonstudio los und reiße mit der Energie auch den Gatten mit. Ein Schubladenschränkchen wird geleert und verschrottet, wir holen die letzten Kisten, Papierstapel und losen Kabelstränge raus und stellen sie erstmal im Wohnzimmer ab. Da werden wir sie in den nächsten Tagen und Wochen in Ruhe aussortieren. Gegen Mittag wische ich das Kellerzimmer final durch und wir sind fertig. Deutlich vor Weihnachten. Unglaublich.

Dann kommt die letzte Handlung, auf die ich mich seit dem Beginn des Aufräumens freue. Ich stelle eine Kinderzimmer-Weltraum-Lampe auf, die ich vor kurzem gesehen und spontan für das Tonstudio gekauft habe. Sie macht wunderbares Licht mit strahlenden Sternen und bunten, wandernden Weltraumnebeln. Glitzerndes Discofeeling in ganz langsam und behäbig. Es ist sehr entspannend.

Das Kellerstudio ist wieder schön, blöderweise sieht jetzt das Wohnzimmer vollgestellt und nicht besuchsfähig aus. Der Gatte hat eine grandiose Idee: Wir packen alle Kisten und Kästen in Geschenkpapier ein und legen sie dekorativ unter den Weihnachtsbaum. Problem gelöst. Zumindest bis Januar. Ich finde die Idee großartig.

Am Nachmittag ist mein planmäßiger Kreativnachmittag und ich baue einen Körper für den Esel und nähe grauen Langhaarplüsch. Diesmal kommt der Plüsch nur an den Hinterkopf des Esels, was ihm deutlich besser steht. Der Körper verträgt es, wenn er komplett bedeckt wird. Das Nähen ist etwas mühsam, denn Nadel und Faden verfangen sich immer wieder in den Plüschhaaren und müssen befreit und entwirrt werden.

Es lohnt sich aber, und so langsam wächst genau der Esel heran, den ich haben möchte. Gut gelaunt und naiv soll er sein. Und das ist er.


Am Samstag fahre ich wieder nach Bad Neuenahr. Meinem Vater geht es deutlich besser. Er löffelt sogar sein Essen selber, verlangt nach Salz, bekommt es, isst weiter und meint: „Am Salz liegt es nicht. Es schmeckt einfach nicht.“ Natürlich hat er weiterhin Defizite und ist schnell erschöpft, aber er erholt sich zunehmend. Ich kann immer noch nicht erfahren, ob er in den letzten Tagen schon mal Physiotherapie hatte, aber wenn er sich weiterhin so bessert, ist das schon eine gute Richtung.

Seine Schwester und ihr Mann kommen zu Besuch ins Krankenhaus und freuen sich ebenfalls, ihn unerwartet gut vorzufinden. Als mein Vater müde wird, gehen wir und wollen in Bad Neuenahr zu dritt noch Kaffee trinken. In der Innenstadt plätschert die Ahr nett vor sich hin und es ist ihr nicht anzusehen, dass sie vor vier Jahren die umstehenden Häuser und Straßen mehr als zwei Meter hoch umspülte. Es ist aber den Häusern anzusehen, die entweder komplett neu gebaut, komplett renoviert oder Ruinen sind. Es ist unwirklich, dass es keine Mischung aus alten und neuen Häusern gibt, sondern fast alles frisch gestrichen und strahlend sauber aussieht.

Wegen der vielen Baustellen und gesperrten Straßen haben wir Schwierigkeiten, ein nettes Café zu finden. Doch dann sehen wir ein Schild: „Restaurant, Café, Weinbar“. Oh, das sieht ziemlich exklusiv aus. Als wir das Foyer betreten, erkennen wir, dass es eine 5-Sterne-Senioren-Residenz ist. Wir erklären am Empfangstresen, dass wir ein Café suchen, woraufhin wir zum hauseigenen Café geschickt werden. Wenn wir wollen, können wir uns auch gerne etwas umsehen, sagen sie freundlich. Vermutlich sehen sie in uns potentielle Kunden. Also eher in meiner Tante und meinem Onkel, die zwanzig Jahre älter sind als ich, weniger in mir. Hoffe ich.

In der Residenz ist alles ruhig, groß, gediegen und luxuriös. Im Essraum ist mit Silberbesteck gedeckt, es gibt einen Bar und einen Flügel und das Personal verhält sich genau wie in einem Luxushotel. Wir trinken sehr guten Tee und essen sehr guten Kuchen.

Beim Hinausgehen erkundigt sich mein Onkel nach den Preisen für den Aufenthalt. Das will ihm natürlich keiner sagen, und sie weichen aus, dass es auf die Appartementgröße und die Lage der Wohnung ankäme. Da könne man nicht einfach Zahlen nennen. Sie reichen ihm einen Katalog und bieten an, dass er ihn durchsehen und sich bei Interesse gerne melden könne. Hach, wir wüssten doch zu gerne, was so was kostet!

Vor dem Gebäude sitzt einer der Bewohner, mit dem wir in ein nettes Gespräch kommen. Er ist 96 Jahre alt, was man ihm nicht ansieht, und dazu überraschend fit. Ihm gefällt es in der Residenz sehr, aber: „Wer hier wohnt, muss schon Mücken haben.“ Ganz nebenbei verrät er uns den monatlichen Preis für seine 3-Zimmer-Wohnung. 6000 Euro. „Und da ist noch nicht mal Essen drin“, sagt er, und wirft hinterher: „Und das ist noch ein alter Preis, weil ich schon so lange hier wohne. Neu können Sie 2000 Euro mehr rechnen.“ Ihm gefällt es, er kann es bezahlen, alles gut. Mein Onkel möchte lieber nicht in einer Sterne-Residenz wohnen, weil ihm das mit so viel ähnlich anspruchsvollen, reichen Leuten zu langweilig vorkommt und er außerdem nicht abends mit Silberbesteck im Essraum vor dem Menü sitzen, sondern sich manchmal nur ein Käsebrot mit Gurke machen möchte. Das ist ein Argument.