Blog 904 – 24.08.2025 – Toast und Tallinn
Am Sonntagmorgen startet mein Flieger nach Estland. Die Knie funktionieren problemlos, ich esse aber immer noch weitgehend nichts, weil mir schon der Gedanke an die meisten essbaren Sachen Übelkeit auslöst. Solange ich nichts esse und weder Kaffee noch schwarzen Tee trinke, geht es mir aber gut. Also scheint es die beste Lösung zu sein, viel Wasser zu trinken und nur mal am Zwieback zu knabbern. Nach guten zwei Stunden lande ich in Tallin, wo ich am Flughafen abgeholt und zum Hotel gefahren werde.

Mein Zimmer liegt im 13. Stock – das Hotel hat dreißig Stockwerke – und ich freue mich über die Aussicht.

Meine Anreise habe ich extra früh gewählt, um heute noch Zeit für die Altstadt von Tallinn zu haben. Wer weiß, ob ich in den nächsten Tagen noch die Gelegenheit dazu haben werde, denn ich bin ja zum Arbeiten da. Außerdem ist eine eher regnerische Woche angesagt.
Tallinn ist eine sehr alte Stadt, die mehrfach wechselnd dänisch, schwedisch, russisch und deutsch war. Als wichtige Handelsstadt galt sie als eine der am besten befestigten an der Ostsee. Seit 1346 war sie Mitglied der Hanse. Dass Kaufleute aus Bremen und Lübeck ihre Söhne für eine Weile nach „Reval“ schickten, wie Tallinn damals hieß, war ganz normal. Heute ist die Altstadt mit vielen erhaltenen Teilen der Stadtmauer Teil des UNESCO Weltkulturerbes, was sie einerseits erhält und vor modernen Neubauten schützt, andererseits Scharen von Touristen durch die Straßen treibt. Zum großen Teil kommen sie von den Kreuzfahrtschiffen, die für einen Tag im Hafen anlegen. Malerisch schön ist die Tallinner Altstadt tatsächlich.









Außerhalb der Altstadt ist Tallinn eine typisch europäische Stadt mit Wohnraum, Geschäften, Restaurants, Clubvierteln und hohen, spiegelnden Business- und Luxushotels.

Ich mag den Klang der estländischen Sprache, der mich an finnisch erinnert, dazu aber die nordisch abgehackten Betonungen des Schwedischen hat. Verstehen kann ich kein Wort, aber alle sprechen auch Englisch. Am Nachmittag kehre ich in mein Hotelzimmer zurück und mache es mir mit etwas Zwieback und Wasser gemütlich. Nachdem ich in der letzten Woche richtig flachgelegt war, sollte ich es jetzt nicht übertreiben mit dem Herumlaufen. Der Blick aus dem Fenster ist auch am Abend schön.

Beim Frühstück stehe ich vor den reich beladenen Tischen des Buffets, an denen es frische Waffeln, Eier, Speck, Kartoffeln, Croissants, Obst, Lachs und … eben sehr viel Auswahl gibt – und nehme mir eine Scheibe Toast mit etwas Butter und einer Scheibe Käse. Dazu eine Tasse grüner Jasmintee, ungesüßt. Wie traurig. Aber da ich das sichere Gefühl habe, lieber nichts anderes essen zu wollen, höre ich mal lieber auf mich.

Die angekündigte spektakuläre Aussicht vom Frühstücksraum im 8. Stock „über die Stadt und das Meer“ erweist sich in meinen Augen als zu euphorisch. Obwohl ich natürlich tatsächlich ein wenig Stadt von oben und ganz im Hintergrund auch das Meer erkenne.

Dann geht es zur Arbeit. Die macht in dieser Woche den Hauptteil der Zeit aus, ist – aus Gründen – aber mit wenig Fotos vertreten.


Die Drehzeiten beginnen morgens, einmal sogar noch bevor das Frühstücksbuffet des Hotels öffnet, und dauern bis zum Abend. An einem Abend ist um 19 Uhr Schluss, das Wetter stimmt und ich bin fit, darum laufe ich vom Drehort sofort in die Altstadt, um mich weiter umzusehen. Ich möchte unbedingt noch zur russischen Kathedrale kommen, die in einem höheren Teil der Altstadt liegt, in dem ich noch nicht war.


Von oben habe ich einen wunderbaren Blick über die Stadt bis zum Meer. Da sollte sich das Hotel mal ein Beispiel nehmen, wie man das mit der Aussicht vorbildlich hinbekommt.


Im Anschluss laufe ich weiter herum und freue mich immer wieder über schöne Anblicke. Sogar, wenn ich sie schon dreimal gesehen habe.




Mitten in der heute malerischen Vergangenheit gibt es die harte Realität. Vor der russischen Botschaft ist ein langer Zaun aufgebaut, an dem gegen Putin und seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine protestiert wird. Erst 1991 hat sich Estland als unabhängig von der Sowjetunion erklärt und die Esten wissen genau, was mit ihnen passiert, sollte Putin die Ukraine besiegen. Putin redet offen darüber, dass die baltischen Staaten wieder russisch werden müssen. Aus diesem Grund unterstützen die Esten die Ukraine, nehmen Flüchtlinge auf und fordern mehr Einsatz von Europa. Im Gegensatz zu vielen Deutschen, die denken, der Kampf in der Ukraine, der ja auch ein Kampf für die Freiheit und die Demokratie in Europa ist, sei weit weg, ist er für die Esten sehr präsent.

Am letzten Tag ist der Drehort draußen an einem Privathaus. Mit Bussen, Catering, Stromgeneratoren, Scheinwerfern, Kameras und etwa fünfzig Leuten belegen wir die Straße und die Einfahrt des Hauses. Der Hausbesitzer kommt nach einigen Stunden vorsichtig aus dem Haus und ist völlig verwundert, dass so viel los ist. Er hatte mir etwa acht Leuten gerechnet und kann nicht fassen, dass nicht nur alles zugestellt ist, sondern dass Scheinwerfer ein künstliches Sonnenlicht in seinem Vorgarten erzeugen, während doch die echte Sonne scheint. Ich erkläre ihm nichts von Anschlussschnitten. Dass so viel und immer wieder Dasselbe für Zehn-Sekunden-Clips gefilmt werden muss, ist für ihn ebenfalls nicht zu verstehen. Immer wieder schüttelt er den Kopf und lächelt fassungslos. Er macht ein paar Fotos, vermutlich, weil ihm das sonst keiner glauben würde, wenn er davon erzählt. Ich glaube, er ist froh, als am späten Nachmittag der Abbau beginnt und sein Haus wieder unauffällig in der ruhigen Siedlung steht.

Der Freitag ist nicht mehr Dreh-, sondern nur noch Abreisetag. Meinen Abflug habe ich bewusst für den späten Nachmittag gewählt, um vorher noch einige Stunden für Tallinn zu haben. Mein opulentes Frühstück besteht immer noch aus Toast, Käse und ungesüßtem Grüntee. An den Tagen vorher habe ich aber schon etwas Reis und Hühnchen zum Mittagessen gehabt und am Vorabend beim gemeinsamen Abendessen vorsichtig zwei Garnelen, eine kleine Ecke überbackene Burrata und ein Tiramisu gegessen. Das Tiramisu war mir zu fettig und zu süß und damit kein Genuss, ich habe es aber gut vertragen. Immerhin. Heute aber lieber wieder vorsichtig.

Ich checke aus, lasse meine Reisetasche in der Aufbewahrung im Hotel und laufe los in Richtung Kadriorg-Park. Das Wetter zeigt sich bedeckt und es sind Regenschauer angekündigt. Mal sehen, wie lange ich trocken bleibe. Ich laufe durch Wohnstraßen, in denen die alten estländischen Häuser mit bunt gestrichenen Holzfassaden stehen, die liebevoll renoviert sind.



Im großen Park sehe ich mir Teiche, Blumenrabatten, Springbrunnen und Eichhörnchen, sowie das Schloss von innen und außen, inklusive Gemäldesammlung an.




Mir gefällt besonders das „Mädchen in Rot“, dem man ansieht, dass es keine Lust mehr hat, für den blöden Maler Modell zu sitzen.

Vom Schloss aus laufe ich zum Meer. Regenwolken kommen auf, aber es bleibt trocken. Hach, ich laufe durch Sand, hebe ein paar kleine Muscheln auf und bin glücklich, am Meer zu sein. Links im Hafen hat wieder ein Kreuzfahrtschiff angelegt, auf dem Meer ist schon die Fähre aus Helsinki zu sehen, die nur zwei Stunden für die Überfahrt braucht.

Stein ohne Meerjungfrau:

Ich laufe weiter zur Altstadt, zur „dicken Margarethe“, einem Wehrturm aus dem 16. Jahrhundert, der bis zu fünf Meter dicke Mauern hat. Dort besuche ich das Schifffahrtsmuseum.

Zur Geschichte der Hanse – ein Schaubild zeigt, wie gut der Revaler Standort damals in die Handelsroute passte – gibt es auch die Reste einer Kogge aus dem 14. Jahrhundert zu sehen, die erst vor drei Jahren bei Bauarbeiten in Tallinn entdeckt wurde.


Ansonsten gibt es Schiffsmodelle aus allen Zeiten und viel Schiffszubehör zu sehen.

Der Blick vom Museumsdach ist wieder sehr schön, und ich mache mich auf, ein letztes Mal durch die Altstadt zu streifen.




Ich esse sogar ein Mittagessen im gemütlichen Außenteil eines kleinen Restaurants. Zitronenrisotto mit Basilikumsud und Garnelen, was ich sehr gut vertrage. Dazu gibt es einen Chaitee, der etwas zu süß ist, mir aber ebenfalls schmeckt. Prima, es geht kulinarisch aufwärts.




Am Nachmittag sind die Knie vom vielen Herumlaufen müde und der Kopf ist voll. Ich mache mich auf den Weg zum Hotel, wo ich meine Tasche abhole und kurz darauf von einem Fahrer eingeladen und zum Flughafen gebracht werde. Ich hatte einen schönen letzten Tag in Tallinn und das Wetter war prima.



Beim Landeanflug in Frankfurt sehe ich das Haus, in dem der Sohn wohnt, der mir vom Balkon winken könnte, wenn er denn auf dem Balkon stehen würde. Das ist schon lustig, dass ich sonst vom Balkon aus die Flugzeuge im Sinkflug sehe und jetzt selber im Flugzeug sitze und von der anderen Seite gucke.

Der Sohn fährt schnell die drei Stationen mit der Bahn zum Flughafen und wir fahren gemeinsam zurück. Ich übernachte bei ihm und am nächsten Tag fahre ich mit dem Auto zurück nach Hause. Puh, zwei Wochen mit Knall auf die Kniescheiben, Gehirnerschütterung, Übelkeit, Puppendreh 1, Tallinn und Puppendreh 2 sehr gut überstanden. Was habe ich für Glück gehabt! Und wie schön, dass ich etwas von Tallinn kennenlernen konnte!