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Blog 822 – 28.01.2024 – Zusammen gegen Rechts und Parallelwelten

Der Sonntag gibt es deutschlandweit zahlreiche Demonstrationen gegen Rechts und da vor allem gegen die AfD. Die große, meist stumme Mitte steht auf und zeigt, dass ihr die Demokratie und die Verfassung wichtig sind. Der Gatte und ich fahren mit einer eng gestopften Bahn, bei der an den letzten Stationen niemand mehr zusteigen kann, nach Köln und laufen mit vielen anderen zum Versammlungsort auf der linken Rheinseite. Von allen Seiten kommen immer mehr Menschen dazu, darunter Familien mit Kindern, Alte, Junge und viele, die nie zuvor auf einer Demo waren. „Jetzt kannst du zeigen, was du anstelle deiner Großeltern damals getan hättest“, steht auf einem Plakat. Ja, nicht abwarten, bis es zu spät ist.

Es ist bunt, friedlich und es herrscht eine fröhliche, hoffnungsvolle Atmosphäre. Die Stimmung ist locker und das „Miteinander“ und ein „Gemeinsam gegen Rechts“ ist gut zu spüren. Wie beruhigend, dass es so viele Gleichgesinnte gibt. Außerdem kenne ich noch viele, die aus verschiedensten Gründen nicht dabei sind, den Widerstand gegen Rechts aber genau richtig finden.

Auf der Veranstaltung gibt es kurze Reden, denen zugehört wird, und – wie in Köln zu erwarten – Musik von prominenten Kölner Bands. Das Publikum freut sich über die kurzen Auftritte, es wird auch mal mitgesungen und mitgeklatscht, aber zu meiner Freude schlägt es nicht um in kölsche Party. Der Anlass ist nicht zum Feiern. Die Auftritte werden mit viel Applaus honoriert, lenken die Demonstrierenden aber nicht vom eigentlichen Grund ab. Sehr gut!

Die Demo läuft schon über eine Stunde, da kommen immer noch weiter Massen von Menschen als endloser Zug über die Brücke dazu. 70.000 Demonstranten in Köln werden am Ende gemeldet. Beeindruckend. Das gibt ein gutes Gefühl für die Zukunft.

In den Tagen danach reagieren AfD-Politiker, rechte Sympathisanten und viele von denen, die sowieso schon in der Querdenker-Parallelwelt leben, von der aus es nicht weit zu Putin und der AfD scheint, empört. „Das sind retuschierte Fotos mit zu vielen Teilnehmern“, „Die Lügenpresse hat sie aufgehetzt“, „Die wurden für die Teilnahme bezahlt“ und „Instrumentalisierte, nicht selber denkende Demohansel“. Die AfD sagt zu ihren aufgedeckten Deportationsplänen gleichzeitig: „Das stimmt so nicht!“ und: „Da stehen wir zu“. Ihre Überraschung und die leichte Panik, dass es plötzlich Gegenwind gibt und „das Volk“ tatsächlich gegen Rechts auf die Straße geht, sind deutlich zu merken. Wie man die quer abgebogenen Mitbürger allerdings wieder erreicht, die alles Öffentlich-rechtliche generell für Lügen halten, russische Propaganda und AfD-Parolen dagegen ungeprüft glauben und wiederholen, weiß ich auch nicht. Das hat Sektenstrukturen und da helfen keine sachlichen, belegbaren Argumente. Wer in einer Sekte eigene Stabilität sucht, glaubt dem Guru alles, egal, was für eine ungeheuerliche oder gefährliche Verzerrung der Realität das ist. Je mehr dagegen geredet wird, desto blinder wird gefolgt.


Auf dem Rückweg gibt es vor dem Dom eine weitere Parallelwelt, die allerdings witzig ist. Eine Gruppe Leute steht mit dicken VR-Brillen herum und alle gucken konzentriert in verschiedene Richtungen. Neben ihnen ragt der mächtige, imposante Dom hoch, sie gucken in virtuelle Welten und haben keinen Blick für die Realität. Wer weiß, was sie gerade ansehen. Den Dom von außen in virtuell?


Meine tägliche Showeinlage im Wohnzimmer-Stepptanz ziehe ich weiterhin durch. Manchmal nur einige Minuten, damit ich Muskeln und Gelenke nicht sofort überlaste, aber ich werde tatsächlich schon etwas besser. Was allerdings nur bedeutet, dass ich ab und zu auch mal zwei, drei exakte Schläge nacheinander hinbekomme und insgesamt beweglicher werde. Das Verstehen der Begriffe wie „Step, step, shuffle, heel, kick!“- als Anleitung aus dem Computer ist dabei kein Problem. Das Umsetzen jedoch ist unbeholfen und sehr verzögert. Ich fühle mich, als säße ich mit dicken Handschuhen vor einer Schreibmaschine und sollte mit fünf Anschlägen in der Sekunde einen Text schreiben. Da muss sich jeder Finger in Ruhe einzeln vorbereiten und haut auch mal daneben. Aber ich gebe mir Zeit, das wird schon noch deutlich besser werden.

In der Nacht träume ich sehr realistisch, dass ich wieder im langjährigen Kölner Steppstudio stehe. Ich staune, wie groß dort jetzt alles ist, weil umgebaut wurde und es weitere Räume gibt. Außerdem ist alles apfelgrün gestrichen. Erschrocken überlege ich, ob ich mich tatsächlich schon für einen Kurs angemeldet habe, denn ich wollte vorher doch erstmal üben. Habe ich denn schon geübt? Ich glaube nicht. Ein bisschen stressig ist, dass ich meine Katze dabeihabe und ganz unerwartet auch andere Katzen in den Räumen herumlaufen. Seltsamerweise ist meine Katze ziemlich dick und schwerfällig. – Ich muss nicht lange überlegen, was das mit dem „dick und schwerfällig“ zu bedeuten hat. Als ich wach bin, bin ich heilfroh, dass ich mich doch nicht zum Kurs angemeldet habe.


Die Nilproben kommen gut voran. Das Stück ist spannender, als ich nach dem ersten Lesen dachte. Ich wusste aber auch gar nicht mehr, was passiert. Vor den Proben sehe ich mir ja auch grundsätzlich keine Filme von einem Stück an, weil ich nichts nachspielen, sondern eine eigene Rolle finden möchte. Jetzt sehe ich, dass es eine sehr gute Mischung von verschiedenen Charakteren, lustigen und auch sehr spannenden Szenen gibt. Hach, das wird gut werden.


Fische im Regen. Macht das für sie einen Unterschied? Was stelle ich mir eigentlich immer für Fragen?


Am Samstag ist auch im heimischen Erftstadt Demo gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie. Ein breites Bündnis aus vielen Parteien, Vereinen und Organisationen hat gemeinsam zur Teilnahme aufgerufen. Es kommen viele Leute und der Marktplatz ist voll.

Die Stimmung ist gut und bei den Reden wird viel applaudiert. Ich denke, wenn nur einige von diesen jungen, aktiven Parteivorsitzenden mit Verantwortung in der Regierung säßen, würde da vieles besser laufen. Wieso sind in den Ortsvereinen so viele engagierte Politiker*innen, die ich gerne wählen würde und in Berlin sitzen Scholz, Merz, Lindner und Lang?

Sehr schön ist, dass Stephan Brings da ist. Er erzählt, dass er auf dem Weg in die Eifel oft mit seinem Rad durch den Ort fährt. „Ich bin der Fahrradfahrer, der durchrast und brüllt: Ich tret‘ dir den Spiegel ab!“, lacht er breit, was ich mir angesichts der fahrradweglosen Straße und der oft wild haltenden Autos gut vorstellen kann. Er singt und redet klasse, und ich stelle fest, dass er bei mir bisher im Schatten seines charismatischen Bruders Peter stand. Jetzt bin ich verblüfft, wie locker, witzig, gut und überzeugend er auch alleine ist. Ein toller Mensch.

Das Teilnehmen an den Demos tut gut. Ich würde ja generell lieber auf dem Sofa sitzenbleiben und habe keine persönliche Freude, mir zwei, drei Stunden die Beine in den Bauch zu stehen, um gegen was zu sein. Aber es ist gerade wichtig und es gibt dann doch eine tiefe Freude, dass es so viele Gleichgesinnte gibt. Und wenn dann zwei Schülerinnen des örtlichen Gymnasiums eine Rede halten, die beide nicht-deutsche Namen haben und nicht-deutsch aussehen und darum von den Deportationsplänen der AfD betroffen wären, aber in perfektem Deutsch sprechen, intelligent, gebildet und höflich sind – und ich mir dagegen die oft von Schreibfehlern trotzenden und tumben rechtsdeutschen Beiträge und Typen ansehe, weiß ich, wen ich in einem bunten, schlauen, netten Deutschland haben möchte.