Blog

Blog 783 – 30.04.2023 – Torkelnder Kater und Charakterfindung

Auch bei Regen, bei dunkler Wolkendecke oder unmittelbar nach einem Regenschauer leuchten meine Tulpen. Sie machen sofort gute Laune. Ein Blick auf die Blüten und ich grinse glücklich.

Der Kater braucht eine Zahn- und Zahnfleischsanierung – sagt der Tierarzt. Ich kann das nicht beurteilen und stimme zu. Zum Termin mit Vollnarkose muss er nüchtern kommen. Das heißt, dass er ab Mitternacht nicht mehr fressen darf und darum auch in der Nacht nicht nach draußen darf, weil er dort unkontrolliert die ein oder andere Maus fressen könnte. Ich ahne schon vorher, wie es ablaufen wird, und es läuft so ab.

Nach dem letzten Abendsnack will der Kater erstmal nach oben und dort auf dem Gästebett schlafen. In den frühen Morgenstunden will er raus und kommt an mein Bett. Bis dahin alles normal. Es ist 4 Uhr 30. Leise gurrt er: „Murrr.“ Dann nochmal: „Murrr.“ Dann lauter: „Maaaau.“ (Pause) „Maaaaau.“ (Pause) „Mau.“ Er versteht nicht, warum ich nicht verschlafen aufstehe, die Treppe runterwanke und ihm die Haustüre öffne. Stattdessen mache ich das Licht an, bleibe aber im Bett liegen und lese, weil ich bei dem ständigen Gemaunze sowieso nicht schlafen kann. Er kommt ganz nah, guckt mir aufmerksam ins Gesicht und sagt: „Mau!“ „Geht nicht“, sage ich bedauernd und lese weiter. Dem nächsten „Mau“ meine ich einen verwunderten Unterton anzuhören.

Als ich gegen 6 Uhr das Buch zuschlage und aufstehe, maunzt er weiter und rennt außerdem ständig zu Türen und Fenstern, um mir verständlich zu machen, dass er dort raus möchte. „Maaaaaaaau. Mau. Mau. Maaaaauuuu.“ Selbstverständlich erkläre ich ihm die Lage, aber er wirkt uneinsichtig. Nach meinen Erklärungen will er sogar noch dringender raus, weil ihm mein Verhalten mehr als seltsam vorkommt. „Irgendetwas ist mir ihr nicht in Ordnung“, denkt er vermutlich über mich. „Wieso kapiert sie nicht, was ich will? Sie ist doch sonst recht verständig.“

Endlich geht es auf 12 Uhr zu. Seine Vorfreude, dass etwas passiert, ändert sich in lähmendes Entsetzen, als er sich in der Transportbox und auf dem Weg zum Tierarzt wiederfindet. Er ist so geschockt, dass er nicht mal mehr maut. Schon eine Stunde später kann ich ihn wieder abholen. Er schläft nach der Narkose noch tief und fest. Die dringend notwendige Zahn- und Zahnfleischsanierung war bei näherem Hinsehen doch nur eine Zahnsteinentfernung. Zu meiner Erleichterung kostet es darum auch nicht „eine Woche Ferien in Holland“, sondern nur „ein Wochenende in Holland“. Dass mir danach eine regelmäßige Zahnsteinentfernung, ein „Wo wir gerade dabei sind könnten wir“-Blutcheck und „Er könnte ein orthopädisches Problem haben, da gäbe es monatliches Schmerzmittel“ angetragen wird, finde ich eher unangenehm. Vielleicht hätte ich stattdessen auch nur lieber ein Ferienhaus in Holland.

Der Kater hat nach der Behandlung vermutlich ein strahlend weißes Lächeln, lächelt aber nicht, sondern schläft mit heraushängender Zunge. Als er etwas wacher wird, versucht er instinktiv zu flüchten und schwankt torkelnd und immer wieder auf die Seite fallend durch die Gegend. Zwischendurch schläft er spontan ein, liegt mitten im Weg und stützt schlafend das Kinn auf dem Boden ab.

Am Nachmittag frisst er sehr langsam eine kleine Portion gekochtes Hühnerfleisch, bricht kurz danach lautlos alles wieder aus, torkelt zurück auf die Decke und schläft entspannt mehrere Stunden. Als er am späten Abend aufwacht, ist er so fit, dass er sogar für die Nacht raus darf. Er kann es kaum fassen, dass ich tatsächlich die Haustür öffne.

Noch am nächsten Tag ist er immer wieder erstaunt, dass sich die Türen wieder öffnen, wenn er „Mau“ sagt, zögernd darauf zugeht und ich sofort hinter ihm hergehe und die Klinke drücke. Schnell rennt er dann raus, weil er vermutlich befürchtet, ich könnte es mir wieder anders überlegen. Andererseits kommt er auch immer wieder rein, weil er etwas zu essen haben oder zwischendurch auf dem Gästebett schlafen möchte. Er hat alles gut überstanden, das ist die Hauptsache.

An meinem Kreativtag möchte ich die Spielstäbe der Klappmaulpuppe fertig machen, aber ich finde mein Kistchen mit den Unterlegscheiben nicht. Nach den Renovierungsarbeiten in der Küche und im Bad sind viele unserer Werkzeuge und Hilfsmittel noch griffbereit an einigen Stellen im Haus verteilt. Griffbereit ist natürlich ein Witz, wenn ich meine Unterlegscheiben nicht finden kann. Es wird Zeit, dass ich die Werkzeuge aufräume, aber heute nicht, da ist Kreativtag.

Dann also keine Stäbe, stattdessen verstärke ich die Schattierungen im Gesicht und auf den Händen der Puppe, bringe die Ohren in Form, helle die Zunge etwas auf und gehe die Nähte durch. Bis auf die Stäbe sollte jetzt alles fertig sein.

Danach setze ich mich in den Hof. Vor einen Laptop. Unter einen Sonnenschirm. Mit der ersten Rhabarberschorle des Jahres. Es ist wunderbar. Wie Urlaub. Dabei arbeite ich sogar. Konzentriert gehe ich meine Notizen über das neue Theaterstück durch und entwickle die sechs Charaktere, die in diesem Stück miteinander agieren und deren Zusammenspiel die Komik und die Dramatik ergeben. Nur wenn ich über die Personen viel weiß, weil ich ihren Lebensweg, ihre Ziele und ihre Temperamente kenne, handeln sie im Stück logisch und finden ihre Dialoge fast von alleine.

Drei Stunden brauche ich, um nur die Personen mit ihren Namen und Persönlichkeiten festzulegen, aber diese drei Stunden sind jetzt die feste Basis für das danach eher lockere Dialogschreiben. Die Grundgeschichte steht und ist rund, Anfang und Ende sind klar, ich weiß nur noch nicht, ob es sehr lustig oder sehr dramatisch werden wird. Es ist alles möglich, ich muss mich nur entscheiden. Möchte ich, dass die Zuschauer später gut gelaunt und mit roten Lachgesichtern aus dem Theater kommen, oder geschockt und blass um die Nase? Vermutlich wird es eine Mischung. Zuerst lustig, und dann bleibt allen das Lachen im Hals stecken. Wäre doch gut.

Am nächsten Tag beginne ich mit dem Aufräumen der Werkzeuge. Wenigstens mal anfangen. Schon nach wenigen Minuten finde ich in einer Kiste – zwischen Schraubenziehern, Bits, Profilbretterklammern und einem Hammer – das Kästchen mit den Unterlegscheiben.

Außerdem finde ich etwas im Garten: den Zünsler. Er kriecht grün und fett durch den optisch frischen und hellgrün austreibenden Buchsbaum und frisst ihn ab. Die ersten Exemplare sammle ich per Hand ein, aber weil ich viele Buchspflanzen habe und beim Suchen manche Zünsler erst beim zweiten oder dritten Blick entdecke, kann ich mir ausrechnen, dass ich viele übersehe. Außerdem sind noch nicht alle Büsche befallen. Oder dort sind die Zünsler noch so klein, dass ich sie nicht finde. Oder groß genug und ich bin zu blöd.

Weil meine Handpumpenspritze schon im letzten Jahr nicht mehr gut funktionierte, fahre ich seufzend zum Baumarkt und kaufe eine neue. Dann rühre ich mir „Neudorff Raupenfrei“ an und behandle die Buchsbäume und -büsche. Auch wenn das ein biologisches Spritzmittel ist, das bei Gemüse eingesetzt werden kann und für Bienen und Nützlinge unbedenklich sein soll, verwende ich es nicht gerne. Was ist, wenn ein Vogel einen Zünsler frisst, der vorher die behandelten Blätter gefressen hat? Andererseits habe ich noch nie einen Vogel in meinem Garten gesehen, der irgendwelches Interesse an den leuchtend grünen Raupen hatte. – Es hilft ja nichts. Buchs oder nicht Buchs, das ist hier die Frage. In diesem Jahr ist die Antwort immer noch: Buchs.