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Blog 804 – 24.09.2023 – Touri-Tour, gelbe Markierungen und brutale Teilung

Den Sonntag verbringen wir zu dritt als Touristen in Frankfurt. Es ist schönes Wetter, und da der Sohn erstmal – vielleicht für sehr lange – dort wohnen wird, wollen wir die Stadt nach und nach kennenlernen. Allerdings macht Frankfurt es uns nicht einfach. Großstadt mit vielen Leuten und vielen Autos ist sowieso nicht unser Traum, und das Bahnhofsviertel empfängt uns unangenehm dreckig und vermüllt und ist geprägt von Alkohol- und Drogenkonsum. Genau dort kommen die Touristen und Geschäftsreisenden an und müssen durchlaufen. Wenn der Vorgarten, wie man sagt, ein Bild über den Hausbewohner abgibt, ist der erste Eindruck, den man von Frankfurt bekommt, der, dass man lieber wieder fahren sollte. Ich verstehe, warum der Sohn am Hauptbahnhof meistens in andere Bahnen umsteigt und die Gegend vermeidet.

Wir gehen zu Fuß weiter Richtung Altstadt und mit jeder Straßenecke wird es angenehmer. Es bleibt Großstadt, aber es wirkt nicht mehr so bedrückend heruntergekommen. Außerdem gibt es lustige Wahlplakate, die es ernst meinen, was noch lustiger ist.

Der „Römer“ ist sehr malerisch, hat etwas von Disneyland, gefällt mir aber trotzdem besser als vermülltes Elend. Heile Welt vorgaukeln habe ich anscheinend lieber als knallharte Suchtrealität.

Wir buchen eine Touri-Stadtrundfahrt im offenen Doppeldeckerbus, der uns erst durch schmale Straßen und dann im Schnelldurchlauf an den Sehenswürdigkeiten Frankfurts vorbeifährt. Dazu gibt es über Kopfhörer einen Begleittext, der in seinem aufgesetzt fröhlichen Grundton ebenfalls sehr an einen Freizeitpark erinnert, uns aber tatsächlich einige neue Kenntnisse bringt. Das Wetter ist prima – kann man so machen.

Der erste Frankfurt-Schnelldurchlauf zeigt, dass es durchaus nette Viertel und interessante Ecken gibt. Ich mag sogar die Hochhäuser und vor allem, wenn sie sich mit alten Gebäuden abwechseln.

Als Kind habe ich den Namen „Frankfurt“ oft gehört, weil mein Vater dort monatelang immer wieder gearbeitet hat – weswegen wir in den Jahren danach zum Abendessen hin und wieder „Handkäs mit Musik“ hatten und die Erwachsenen „Äppelwoi“ dazu tranken -, in der Festhalle habe ich ein Paul McCartney-Konzert besucht, später eins von Rainald Grebe und eins von Billy Joel, in der Alten Oper habe ich das erste Mal ein Konzert der Wise Guys gefilmt, war im Frankfurter Zoo extra wegen der Faultiere, habe zusammen mit meinen beiden Puppenkolleginnen aus der Schweiz ein Theaterstück mit Puppen im Kellertheater angesehen, den Sohn vor seiner USA-Reise zum Frankfurter Flughafen gebracht und zehn Tage später wieder dort abgeholt und im letzten Jahr das Städelmuseum besucht. Oh, doch ganz schön viel, finde ich, dafür, dass ich immer denke, mit Frankfurt nichts zu tun zu haben.

Kurz vor Ende der Rundtour steigen wir in Sachsenhausen aus. Dort ist es sehr malerisch, habe ich gelesen. Nun ja. Wir finden den Frankfurter Ballermann, die malerische Partymeile, bei der am Mittag noch nichts los ist, die wir aber trotzdem gerne und schnell hinter uns lassen, und streifen etwas durch die Nebenstraßen, die aber genau wie in Köln-Klettenberg aussehen. Fazit: Es gibt noch viel zu sehen, das muss nicht unbedingt das Bahnhofsviertel sein – ich habe da eher einige der tollen Museen, Parks und Besonderheiten auf der Liste. Wir werden mit Frankfurt schon noch warm werden.

Wieder zuhause angekommen, sehe ich zufällig, dass mein Klappmaulhase ein Titelstar ist. Auf der Rückseite eines Heftchens. Und nur als stilisierte Grafik. Ein B-Titelstar also, kaum zu erkennen, aber immerhin. Das ist doch mein Hase! denke ich, als ich das Programmheft des Bochumer Figurentheaterkollegs vor mir ablege. Er blickt als Grafik mit leeren Augen vor sich hin, aber er ist ja sowieso nicht der Hellste.

Das „Buch der Stadt Köln“ habe ich sorgfältig und massiv für unsere Lesungen gekürzt. Jetzt sitze ich daran, die übriggebliebenen Textstellen zu markieren und die gestrichenen noch deutlicher zu streichen, damit es später keine Sucherei nach dem Text zwischen kreuz und quer verlaufenden Bleistiftstrichen wird. Endlich kann ich mal die vielen gelben Marker, die sich bei uns in Jahren angesammelt haben, einsetzen. Ich muss sie ständig wechseln, weil sie irgendwann nur noch wenige Zeilen färben und eine kurze Pause brauchen, um frische Farbe in die Spitze zu bekommen. Mein Ziel, einige komplett leer zu bekommen, schaffe ich nicht. Am Ende färben alle noch, aber alle nur noch ein bisschen.

Als ich komplett durch bin – es dauert erstaunlicherweise doch wieder mehrere Stunden -, zerteile ich das Buch mit einem Messer brutal in fünf handliche Teile. Das ist die einfachste Lösung, um den anderen der Gruppe ihre Texte zu übermitteln. Praktischerweise lässt es sich sogar flüssig aus dem durchmarkierten Buchteil vorlesen, so dass sie die Markierungen nicht unbedingt in ihr eigenes Buch übertragen müssen.

Ich schreibe noch eine kurze Zusammenfassung für jeden Lesungsteil, so dass nicht nur die Zuhörer immer auf den Stand gebracht werden können, sondern auch die Vorleser einen Überblick über die komplette Handlung und die Auflösung haben. Außerdem lege ich das Register mit den unfassbaren 102 Personennamen dazu sowie eine Übersicht über die personelle Zusammensetzung der verschiedenen Polizeiabteilungen und einer Namensliste der Etablissements und anderer Bezeichnungen. Meine Güte, was ist da alles zusammengekommen! Aber wenn ich mir die Arbeit schon machen musste, um selber den Überblick zu bekommen und überhaupt sinnvoll kürzen zu können, kann ich die Listen auch zum Nachschlagen weitergeben.

Es kann übrigens sein, dass nur ich zu blöd für die Geschichte mit den vielen Personen bin, und alle anderen Leser keine Probleme haben und es toll finden. Immerhin ist die Reihe ein Bestseller. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle es auch bis zum Ende gelesen und die Auflösung kapiert haben. Egal, hurra, ich bin endlich fertig! Und nachschlagen kann ich auch nichts mehr, weil vier Fünftel meines Buches jetzt weg sind. – Unsere Lesungen sind erst im November, und ich freue mich tatsächlich darauf. Wir sind fünf gute Vorleser und müssen den möglichen Zuhörern nur noch verklickern, dass das Buch in unserer Version spannend und gut zu anzuhören ist und dazu auch noch viel besser zu verstehen als das Original.

Die ersten Probetermine für das Theaterstück „Tod auf dem Nil“ kommen rein und ich muss kurz schlucken. Da werde ich in den nächsten Monaten dann doch recht häufig abends bei der Probe sein und muss dazu aufpassen, dass ich mir keine weiteren, gleichzeitig stattfindenden Termine einhole. Mit zwei Konzertkarten, die ich für das nächste Jahr habe, könnte es schon kollidieren. Und auch mein geplanter Steinhaukurs im Mai wird wohl nicht zu machen sein. Mein Leben wird wieder mit häufigem Blick auf den Kalender stattfinden müssen. Will ich das? Ich überlege nur kurz und denke dann: Ja. Ich habe total Lust aufs Theaterspielen und mit dieser Gruppe wird es großen Spaß machen. Ist schon sehr in Ordnung so.