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Blog 806 – 08.10.2023 – Aaaah, Emmm, Eeeeh, Basics und Fathi Cevikkollu

Am Montagmorgen geht es nach Bochum ins Figurentheater-Kolleg. Weil ich seit Corona gar nicht mehr so häufig mit Klappmaulpuppen spiele, möchte ich im Fortgeschrittenenkurs nochmal bewusst auffrischen, an Fehlern arbeiten und aktiv spielen. Fünf Tage intensives Klappmaulpuppenspiel bei Bodo Schulte, der ganz genau hinguckt und korrigiert, kann mir nur guttun. Ich bringe auch einige meiner eigenen Puppen mit, weil es immer schön ist, wenn eine Auswahl verschiedenster Figuren da ist. So gibt es einen Tisch voll mit großen, kleinen, dicken, dünnen, leicht und schwer zu spielenden Klappmäulern.

Schon zu Beginn des Kurses fällt auf, dass die Bezeichnung „Fortgeschrittene“ nicht klar definiert ist. Eine weitere Teilnehmerin und ich haben die Grundlagen des professionellen Spielens gelernt und auch schon Spielerfahrung. Die anderen Teilnehmerinnen spielen zwar seit Jahren mit Puppen und sind mit Spaß dabei, – empfinden sich darum verständlicherweise nicht als „Anfänger“ -, haben die Basics des Puppenspiels aber nie gelernt. Sie sind überwiegend mit den industriell hergestellten, weich-knautschigen Therapiepuppen unterwegs. Die sind für richtiges Klappmaulspiel nicht geeignet, weil man mit ihnen nicht präzise arbeiten kann. Dementsprechend müssen im jetzigen Fortgeschrittenenkurs erstmal die Anfänger-Grundlagen wie die Haltung der Puppe, Lot, Blick, Gänge und synchrones Sprechen unterrichtet werden. Für die meisten absolutes Neuland.

Auch mit fortgeschrittenen Spielerinnen wären diese Themen drangekommen, aber eben auffrischend und in deutlich schnellerem Tempo. Da wären wir schnell zu den ersten Spielszenen übergegangen. Jetzt stehe ich da mit meiner Puppe auf der Hand, klappe bedächtig das Figurenmaul auf und zu und sage langsam: „Aaaaa, Emmmm, Eeeeeh“. Dabei denke ich: „Ooooh, neeee!“, weil ich doch vor allem das Spielen an der Leiste und Kameraspiel und Handspiel und Gruppenspiel üben möchte. Üben, nicht von Grund auf lernen.

Am ersten Abend bin ich frustriert, weil ich jetzt Zeit und Geld in einen Kurs investiere, dessen Übungen ich vor Jahren im Anfängerkurs gemacht habe. Doch dann zucke ich mit den Schultern und lasse mich darauf ein. Hilft ja nix. Dann übe ich eben nochmal die Basics und hole für mich raus, was rauszuholen ist. Es ist ja nicht so, dass ich alles perfekt kann und einige Spielszenen werden noch kommen. Zum Glück sind wir eine angenehme Gruppe und das Miteinander klappt sehr gut. Und zum weiteren Glück kann Bodo gut damit umgehen und gibt die Spielaufgaben möglichst passend zum Spielniveau. Es ist nicht so, wie ich es gerne hätte, aber ich fühle mich gefordert und lerne dazu. Nur eben nicht so viel und schnell wie mit vielen ähnlich spielenden Teilnehmer*innen, die sich im Idealfall gegenseitig inspirieren, ergänzen und hochpushen.

Der Bahnhof Langendreer mit seinen Kulturveranstaltungen ist gleich um die Ecke, und an einem Abend tritt dort Fatih Cevikkollu auf. Den Namen habe ich schon öfter gehört, aber ich war noch nicht in seiner Vorstellung. Ein kurzer Blick auf Youtube zeigt, dass er anscheinend ruhig und schlau ist, was mir gefällt. Na, dann mal los! Aber … im Programmheft steht „Zoom“ – ist das ein gestreamter Online-Auftritt? Zoom-Konferenz, Zoom-Konzert – seit Corona völlig normal. Das wäre ja was, wenn ich mir eine Karte kaufe und dann im Bahnhof Langendreer vor einer Leinwand sitze, oder – noch schlimmer – nach Hause gehen und es am Rechner gucken soll! Ach was, wird schon live sein, denke ich. Hoffe ich.

Es ist live. Und Fatih Cevikkollu ist ruhig und schlau und er hat eine schöne Stimme, eine gute Ausdrucksweise und gute Gedanken. Er hält das Publikum bei sich, kommuniziert, ist nah und sympathisch. Außerdem kann er Kopfstand. Und rappen. Als er eine kurze Shakespeare-Szene als Richard der Dritte spielt – er ist ausgebildeter Schauspieler von der Hochschule Ernst-Busch – bin ich völlig fasziniert, dass da plötzlich ein vermeintlich anderer Mensch auf der Bühne steht und sofort eine andere, sehr beeindruckende Atmosphäre entsteht. Die Frau neben mir versteht kein Wort von der verschachtelten Sprache und giggelt vor sich hin, aber ich denke: „Den Richard von Fatih würde ich mir gerne mal ansehen!“ Dabei habe ich ebenfalls nicht alle Sätze sofort verstanden und begriffen. Aber schon wie er sie spricht, macht mir Freude.

Ich habe einen äußerst kurzweiligen und vergnüglichen Abend, der mir auch deshalb gefällt, weil es nicht um altbekannte Witze über Türken und Deutsche oder grundsätzlich gehässiges Niedermachen von Politikern geht, sondern um den Wert von Vielfalt, Miteinander und Akzeptanz. Dass die AfD brauner Müll ist und es bei Politikern auch durchaus kriminell zugehen kann, schließt sich dabei nicht aus. „Wisse um den Anderen“, betont Fatih Cevikkollu immer wieder und meint, dass ich denen, die anders als ich sind, zuhöre, offen bin und erkenne, was ihre Werte sind und warum sie ihnen etwas bedeuten. „Wir haben den Papst und Conchita Wurst gemeinsam am Tisch unserer Gesellschaft sitzen – ist das nicht toll?“, fragt Fatih Cevikkollu freudig. Wir klasse, dass ich mir dieses Bühnenprogramm angesehen habe! Mit dem „Zoom“ möchte er übrigens ranzoomen an verschiedene Themen und sie genauer betrachten. Ich zoome mich danach gut gelaunt zurück zum Kolleg. Im Gepäck sein neues Buch „Kartonwand“, das nicht von Comedy oder Kabarett handelt, sondern von den psychischen Problemen seiner Mutter als „Gastarbeiterin“ in Deutschland. Ich bin sehr gespannt.

Während der Kurswoche steht mein „Schlafwagen“ auf dem Schulhof. Im Auto sind beide Rückbänke ausgebaut und stattdessen gibt es eine bequeme Matratze, einen kleinen Stoffhängeschrank und Gardinen vor den Fenstern. Ich schlafe sehr gerne und gut im Auto, musste es nur nach der ersten Nacht umparken, weil ich unter einer Eiche stand, die während der Schlafenszeit mehrfach mit Getöse Eicheln auf das Autodach abwarf. KLONG! – Wach. KLONG! – Wieder wach. KLONG!! – Menno! Einige Kindern, die einen Ferienkurs im Kolleg machen, sprechen mich an einem Vormittag an. „Dürfen wir Sie was fragen?“ „Aber klar.“ „Sind Sie die Frau, die im Auto schläft?“ „Ja, das bin ich. Da ist eine Matratze drin, das geht super.“ Ein Mädchen guckt mich mit großen Augen an und es bricht aus ihr beinahe entsetzt heraus: „Wohnen Sie im Auto???“ Das finde ich sehr witzig, kann sie aber beruhigen. Dass ich einen Schlüssel für die Haustür des Kollegs bekommen habe und jederzeit aufs Klo, unter die Dusche und in Küche gehen kann, hätte ich ihr vielleicht auch noch sagen sollen.

Im Kurs spielen wir kleine Szenen, wobei ich merke, dass mir das Spielen an der Leiste am meisten Spaß macht. Sehr gut ist es, wenn wir nach dem ersten Durchgang von Bodo auf Korrekturen und Verbesserungen hingewiesen werden und das in einem weiteren Durchgang umsetzen können. An den letzten beiden Tagen geht es noch um offenes Spiel und das Spielen mit Monitor, dann ist die Zeit schon rum. Ja, der Kurs war schon gut für mich, ich habe genügend Unfähigkeiten, an denen ich arbeiten kann und überhaupt ist jede Übung gut. Er war für mich nur lange nicht so intensiv und herausfordernd, wie er hätte sein können. Ob ich nochmal einen Fortgeschrittenen-Spielkurs belegen werde, weiß ich nicht. Das müsste dann schon einer mit einem fest definierten Themenbereich, wie zum Beispiel Kamera/Monitorspiel oder Spielszenen an der Leiste mit Korrekturen und Wiederholungen sein. Und mit klaren Angaben, was als spielerische Grundvoraussetzung vorhanden sein sollte.

Im nächsten Jahr wird es in Bochum einen Klappmaul-Baukurs für Fortgeschrittene geben. Auch in Fortgeschrittenen-Baukursen saßen schon Teilnehmer*innen, die nicht wussten, wie ein klappbares Maul oder ein Arm gebaut werden. Ich wunder mich da manchmal, zumal ich selber meistens zweimal den Anfängerkurs besuche und selbst dann noch unsicher bin, ob ich schon zu den Fortgeschrittenen passe. Da ich im Baukurs aber vorwiegend alleine vor mich hin baue, ist es mir fast egal, ob der Dozent irgendwo noch Grundwissen im Armebauen und das Kleben von Schaumstoff vermitteln muss. Puh, das liest sich vielleicht etwas arrogant, aber wie bei Sprachkursen bei der VHS, bei denen man vor dem Besuch oft seinen Leistungsstand darlegen muss, wäre das auch bei anderen Kursen eine überlegenswerte Sache. Wichtig ist, dass das Niveau – egal ob hoch oder niedrig – ähnlich ist, damit sich alle im passenden Kurs fühlen und alle viel mitnehmen können.

Am Samstag bin ich schon wieder in meinem Garten unterwegs, der noch viel zu sommerlich für die erste Oktoberwoche aussieht. Ich genieße es. Ach, sieh mal an! Der Garten passt nicht zum Monat, hat völlig andere Voraussetzungen, ist noch zu grün und voller Blüten, aber da finde ich es plötzlich gut. Weiß ich, was ich will? Öhm, ja, meistens schon.