Blog 807 – 15.10.2023 – Keine Alternative, The Analouges und die Senioren
Normalerweise kann ich mich ganz gut in meiner persönlichen „Blase“ zurücklehnen, in der die Leute nett, empathisch und schlau sind. Dann sehe ich zwar, dass es ringsherum durchaus Idioten gibt, aber die kommen nicht in mein Privatleben. Schwurbler, Verschwörungsdeppen und AfD-Wähler zum Beispiel. Dass man an hirnrissige Verschwörungen glaubt und wissenschaftliche Nachweise anzweifelt, hat mit fehlender Intelligenz und fehlender innere Stärke zu tun. Dass man AfD wählt auch. Der Kabarettist Gerhard Bronner hat mal über Nazis gesagt – und das lässt sich ebenso auf die AfD abändern:
„Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen: Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus.
Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig.
Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent.
Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi.“
Es gibt keinen Grund die kackbraune AfD zu wählen. Keinen.
Als wäre der Krieg in der Ukraine, angefangen und immer noch brutal durchgezogen von Putin, nicht schlimm genug, fängt auch die Hamas ein Gemetzel in Israel an. Wie bei Putin werden auch dort Zivilisten umgebracht. Barbarisch, brutal und wie im Mittelalter. Familien, Frauen, Kinder. Es ist nicht zu fassen, wie primitiv hasserfüllt und mitleidlos Menschen der heutigen Zeit sein können. Nachdem ich in einer neuen, offenen Zeit groß wurde, in der für die Zukunft alles Gute und Wunderbare möglich schien, dreht sich das Rad gerade wieder zurück. Als hätte es Bildung, Wissenschaft, Respekt und einen offenen Geist nie gegeben.
Dabei ist mir immer bewusst, dass ich in einem der besten Länder der Welt lebe, was Freiheit, Bildung, Versorgung und Frieden angeht. Aber das ist nicht selbstverständlich, und auch meine „Blase“ muss darauf achten, dass es so bleibt. Dass die Ampelkoalition mit ihrem schwachen Kanzler viele ihrer Aufgaben nicht erfüllt und mit unüberlegten Entscheidungen, unprofessionellem Hin und Her, Ego-Trips und öffentlichem Kindergartenstreit das Vertrauen und die Wähler verliert, ist ein großes Problem. „Wen soll ich denn noch wählen, wenn ich den jetzt Regierenden das Regieren nicht zutraue?“, denke sogar ich. Neue Leute müssen in den „normalen“ Parteien ran, denn die AfD ist keine Alternative. Nie.
Was für eine seltsame Welt, dass ich jetzt einfach gemütlich zuhause sitzen und Strümpfe stricken kann. Als wäre alles ringsherum in Ordnung.
Der Sohn hat seine Coronainfektion überstanden, findet allerdings, dass sie mit Fieber, Schüttelfrost und tagelang extremer Schlappheit, bei denen es für ihn schon anstrengend war, sich zwei Meter vom Bett entfernt eine Tasse Tee aufzugießen, ganz schön heftig war. Jetzt hat er eine Woche Urlaub, für die er schon länger einen einwöchigen Sprachkurs an der VHS gebucht hat. Den ersten Tag macht er mit, ist am Abend aber völlig erschöpft. Außerdem hat er weiterhin starken Hustenreiz. Nein, das ist noch nichts. Wir sprechen uns kurz ab, und am nächsten Nachmittag fahre ich – nachdem ich den Vormittag bei meinem Vater verbracht habe – nach Frankfurt und hole ihn ab. Dann macht er eben fünf Tage Urlaub bei uns und hat neben viel Ruhe auch Unterhaltung, Natur zum Spazierengehen, gemeinsame Mittagessen und die ein oder andere abendliche Spielerunde.
In der Düsseldorfer Mitsubishi Electric Halle treten „The Analouges“ auf. Die niederländische Gruppe spielt die Beatles-Alben in der Studioversion live auf der Bühne. Der Gatte ist großer Beatlesfan und weiß genau, wie sich das anhören muss. Überraschenderweise werden wir beim Warten vor der Halle von einem sympathischen WDR-Reporter angesprochen und – ebenfalls überraschend – nicht zum Konzert, sondern zum Programm von WDR4 und besonderen Musikmomenten befragt. Wir erzählen ins Mikrofon und fragen wir uns danach, ob wir wohl viel Unsinn erzählt oder Dämliches gesagt haben. Da ich nicht weiß, ob, wann und wo etwas davon ausgestrahlt wird, werde ich es vermutlich nie erfahren.
Schon beim Warten vor dem Eingang sahen wir es, in der Halle bestätigt es sich: Das Konzert der Analouges ist eine Seniorenveranstaltung. Graue und weiße Haare dominieren. Viele Besucher kommen in ruhigem, manche in gedrosseltem Schritt an, manchmal wird leicht gehumpelt oder sogar eine Gehhilfe genutzt. Rücken, Hüfte, Knie. Die meisten Besucher sind zwischen 60 und 70 Jahre, manche noch älter. Na klar, die damaligen Original-Beatlesfans sind genau in diesem Alter. Eine ältere Dame mit Brille und gefärbtem Kurzhaarschnitt läuft leicht gebeugt den Gang entlang. Sie trägt ein T-Shirt, auf dem in großen Glitzerbuchstaben „The Beatles“ steht. Ich find’s klasse. Vermutlich hat sie irgendwann mal kreischend im Konzert gestanden. „Fehlt nur noch, dass jemand mit Rollator kommt“, meint der Gatte amüsiert, während ich in der Tasche nach meiner Brille suche, ohne die ich inzwischen nicht mehr lesen kann. Kaum schaue ich hoch, kommt ein älterer Herr mit Rollator an. Wenn ich nicht wüsste, dass es um die Beatles geht, würde ich es für eine Info-Veranstaltung zum Thema „Kuren und Reha-Maßnahmen“ halten.
Ich gucke mich um und finde es witzig. Nicht lächerlich, nein, das sind zum größten Teil richtige Beatlesfans, die mit großem Interesse zu diesem Konzert kommen und denen die Musik schon viele Jahre etwas bedeutet. Außerdem sitzen wir ebenfalls mittendrin, was sollte ich da lachen. „Wenn gleich die Musik beginnt, springen die alle auf und kreischen los!“, sage ich zum Gatten. Er antwortet emotionslos: „Ich glaube nicht.“ Er behält Recht. Es geht los und alle bleiben sitzen wie im Kurkonzert. Nur dass dann doch viele Köpfe im Takt mitwippen und sehr viele Lippen die Texte von vorne bis hinten synchron mitsprechen können.
Es ist klasse. The Analouges spielen nach vielen Tourjahren, in denen sie jeweils ein einzelnes Studioalbum im Mittelpunkt hatten, in diesem Jahr zum Abschluss: „The very best of the studio years“. Day Tripper, Fool on the Hill, Magical Mystery Tour, Penny Lane, All you need is Love … immer mit den passenden Instrumenten, die von Cello, Geigen und Bläsern bis zu Harfe, Spinett, Harmonium und Blockflöten reichen. Bei Yellow Submarine gibt es sogar eine kleine Marchingband mit großem Sousafon. Wir hören bis aufs i-Tüpfelchen genau die Studioaufnahmen, die wir von der Schallplatte kennen, nur dass sie gerade komplett live gespielt werden, während sie im Studio in vielen getrennten Aufnahmen und Ergänzungen eingespielt wurde. Selbst die Beatles haben das nie so gehört. Was für ein Aufwand! Und was für ein großartiges Ergebnis! Die Stimmen sind natürlich nicht die vertrauten Leadstimmen, aber die Musiker sind alle großartig und die Atmosphäre stimmt. „Das ist supernah am Perfekten dran!“, freut sich der Gatte sehr, und auch die anderen Zuschauer klatschen und jubeln begeistert.
Ich denke: „Wenn jetzt Paul oder Ringo überraschend auf die Bühne kämen, würden die vielen Sechzig-, Siebzig- und auch Achtzigjährigen im Saal den beiden Achtzigjährigen auf der Bühne begeistert zujubeln.“ Gab es nicht mal Aussagen, dass Rock ’n Roll über 50 nicht mehr möglich ist? Völliger Quatsch.
Die Woche vergeht mit Kleinkram, am Ende meldet sich sogar der Herbst mit deutlich niedrigeren Temperaturen und kräftigem Wind an. Es wird vorwiegend grau. Trotzdem kommt zwischendurch noch die Sonne an strahlend blauem Himmel raus. Die letzten Tomaten reifen vor Herbstlaub.
Am Ende seiner kurzen Ferien im Ferienlager von Mama und Papa wirkt der Sohn fit und deutlich gesünder. Das war eine gute Entscheidung, dass er zum Erholen hergekommen ist und nicht eine Woche alleine in seinem kleinen Zimmer verbracht hat.