Blog 858 – 06.10.2024 – Ruhebereiche, Kondensstreifen und Entspannung
Das Wochenende ist ruhig, der Montag ist es auch, der Dienstag ebenfalls. Vier Tage nacheinander – ich bin das gar nicht mehr gewohnt. Mein Vater wird von Aleksandra gut versorgt, ich telefoniere täglich kurz mit ihm, ansonsten habe ich frei. Schon alleine dass ich nicht irgendwohin fahren muss, um etwas zu erledigen, keine dringenden To-do-Listen aufsetzen muss und nicht bei fürchterlicher Dudelmusik wartend in Telefon-Warteschleifen hänge, macht mir ein Urlaubsgefühl.
Ich nutze die ungewohnt freien Tage allerdings nicht wirklich aktiv, sondern hänge weitgehend herum, gucke eine Doku über Pompeji, baue einen Freizeitpark am Computer und schiebe Haushaltsarbeiten vor mir her. So ein bisschen spülen und Wäsche geht, aber zu mehr kann ich mich nicht aufraffen. Angesichts meiner inneren Müdigkeit halte ich das aber für richtig. Ich muss erst wieder ein normales Energielevel erreichen. Anstatt dass ich selber wusel, beobachte ich kleine, wuselnde Freizeitparkbesucher und baue ihnen Picknickbereiche, Toiletten und Achterbahnen. Und Ruhebereiche. Ruhebereiche sind so wichtig.

Immerhin mache ich mal kleine Spazierrunden. Bei einer sehe ich zwei Ziegen, die – etwas umständlich – gemeinsam an derselben Stelle fressen. Funktioniert.

Etwas später fliegt ein Fischreiher krächzend über den Weg, anscheinend etwas unmutig, weil ich ihn beim Rumstehen störe. Es ist immer wieder erstaunlich, wie langsam sich die großen Vögel beim Fliegen bewegen und dabei trotzdem in der Luft bleiben.

To-do-Listen habe ich natürlich auch weiterhin. Eine für Dinge, die ich für meinen Vater erledigen muss, eine andere – inzwischen ziemlich lange – für mich. Da ist in den vergangenen acht Wochen seit Anfang August einiges liegengeblieben. Es ist aber nicht mehr so, dass ich jeden Abend durchgehen muss, welche Sachen ich alle am nächsten Morgen dringend und möglichst sofort erledigen muss.
Am Mittwoch fahre ich sehr früh zu meinem Vater, weil er um 8 Uhr schon beim Hausarzt sein muss und ich vorher noch etwas einkaufen möchte. Mein Wecker klingelt um 5 Uhr 30, um 6 Uhr 15 fahre ich los. Als ich bei ihm ankomme, hat er ein großes Pflaster am Ellenbogen. In der der Nacht ist er herumgelaufen und dabei gefallen. Wieder mal, weil er alles ganz schnell machen wollte und nicht aufgepasst hat, wie er selber sagt. Weil er starke Mittel zur Blutverdünnung nimmt, bluten offene Stellen lange. Da ist es praktisch, wenn der Hausarzt gleich mal auf die Wunde gucken kann.
Der Arzt findet die offene Stelle nicht tragisch, guckt aber besorgt auf den angeschwollenen Ellenbogen. „Damit müssen Sie jetzt sofort zum Röntgen ins Krankenhaus“, sagt er. Na klar. Ich lache fast los, weil es schon so normal ist, dass immer etwas Neues kommt.

Mein Vater ist mit dem Rollator beim Hausarzt, weil die Wege im Krankenhaus aber gefühlt bis zum Horizont reichen, möchte ich noch schnell den Rollator gegen den Rollstuhl tauschen. So lange Strecken schafft er noch nicht. Kaum halten wir vor seiner Haustür, fällt ihm ein, dass er noch kein Frühstück hatte, weil er nüchtern beim Arzt sein musste. Also erstmal reingehen und Zwischenstopp mit Kaffee und Marmeladenbrot für ihn. Ist schon richtig so.
Danach fahren wir zum Krankenhaus, wo es zum Glück unerwartet schnell geht. Zum einen, weil ich ihn in hohem Tempo durch die Gänge schiebe – vermutlich ziehen wir Kondensstreifen hinter uns her -, zum anderen, weil zufällig wenig Patienten da sind und er schnell drankommt. Ergebnis: Nichts gebrochen, weiter beobachten, vermutlich keine Behandlung notwendig. Das wäre es gewesen, wenn er sich jetzt noch den Ellenbogen gebrochen hätte!

Wieder bei ihm zuhause bearbeite ich Post, stelle die Rattenfalle erneut im Garten auf, fahre zur Apotheke, um eine neue Monatspackung Vitamin- Spurenelemente- Energie- Aufpäppelpulver für ihn zu holen, rechne ab, dann gibt es schon Mittagessen. Während mein Vater schläft, mache ich mit Aleksandra den Wocheneinkauf im Supermarkt. Ich bin dabei nur Transportmittel und Bezahlerin, die Einkaufsplanung überlasse ich komplett ihr. Sie führt den Haushalt und kocht, da weiß sie am besten, was sie braucht.
Als ich etwas später die Medikamente für die nächsten zwei Wochen sortiere, sehe ich, dass zwei der acht Tablettenschachteln fast leer sind. Für die einen Tabletten brauche ich beim Arzt ein neues Rezept. Der hat, weil Mittwochnachmittag ist, aber schon zu. Die anderen Tabletten bekomme ich rezeptfrei in der Apotheke. Fahre ich da jetzt noch hin? Nö, das reicht in der nächsten Woche, wenn ich auch das Arztrezept abholen und einlösen kann. In diesem Moment merkt Aleksandra an, dass die Mülltütenrolle für den gelben Plastikmüll fast aufgebraucht ist und sie eine neue braucht. Wo kriegt man die denn her? Ich gucke im Internet nach und sehe, dass ein Geschäft genau gegenüber der Apotheke sie hat. Also doch los. Erst Müllbeutel holen, dann zur Apotheke. Dort stelle ich mich in die Warteschlange, die bis auf den Bürgersteig reicht. Zwei Hunde erfreuen mich, weil sie vorbildlich und geduldig anstehen und immer brav aufrücken, wenn es einige Schrittchen weitergeht.

Am frühen Abend bin ich wieder bei mir zuhause und mache noch einen Spaziergang über die Felder. Der lange Tag bei meinem Vater war anstrengend, aber ich merke, dass es mich nicht mehr so schlaucht wie in den letzten Wochen. Wenn die Tage drumherum entspannter sind, ist das gut auszuhalten.

Der Donnerstag ist ein Feiertag und das bringt mich komplett aus der Wochentag-Orientierung. Ab da denke ich, es wäre Sonntag. Oder Montag? Also wenn morgen Freitag ist, dann … nee, morgen ist doch Samstag? Oder??
Egal. Die Lage entspannt sich seit dieser Woche merklich. Meine Schwester ist aus dem Urlaub zurück und kann die Wochenendbesuche wieder übernehmen. Die meisten Sachen sind jetzt organisiert und laufen. Ich komme langsam runter und werde wieder ein einigermaßen planbares, eigenes Alltagsleben haben. Natürlich immer in Rufbereitschaft und mit der Möglichkeit, dass ich von jetzt auf gleich alles liegenlassen und zu meinem Vater fahren muss. Das ist aber alles schon viel besser als es in den letzten zwei Monaten war. Puh! Jetzt einmal tief Luft holen, alles auspusten und hoffen, dass die Lage vorerst so bleibt, wie sie ist.