Blog 865 – 24.11.2024 – Alte Bekannte, lange Gänge, Polizisten und Gaslicht
Am letzten Sonntag geht mit der Berichte-Homepage auf einmal alles ganz schnell: Die letzten kleinen Details werden vom Sohn einprogrammiert, dann kann die Seite veröffentlicht werden. Die vorherige, seit 16 Monaten eingefrorene Seite ist damit weg. Ich freue mich sehr. An der neuen Seite gefallen mir besonders die fotobestückten Vorschauen zu den Berichten. Wie es in Immobilienbeschreibungen immer wieder nervig heißt: „sie laden zum Verweilen ein“. In diesem Fall zum Stöbern.
Vor einiger Zeit habe ich ein Rezept gekocht, bei dem eine Rolle Harzer Käse auf dem Backblech geschmolzen und knusprig gebacken wurde und dann als Chip auf das Essen kam. Danach habe ich nochmal einen Harzer Käse gekauft, um das erneut zu machen, und dann anscheinend einen weiteren gekauft, weil ich nicht mehr wusste, dass ich schon einen hatte. Gebacken habe ich die beiden aus irgendwelchen Gründen dann aber nicht. Jetzt sollten sie dringend verarbeitet werden. „Da mache ich einen Käsechip draus, den wir in Stücke brechen und beim Fernsehgucken knabbern“, habe ich die Idee.
Backpapier aufs Blech, die Stücke der beiden Harzer Rollen darauf verteilt und bei 220 Grad ab in den Ofen. Der Käse beginnt vorbildlich zu schmelzen, verteilt sich langsam auf dem Blech, bläht sich bedächtig auf, wirft erste Blasen, dann weitere, dann noch mehr, bläht immer höher – und beginnt wie überschäumendes Seifenwasser über die Ränder des Backbleches zu blubbern und auf den Boden des Ofens zu tropfen. Na toll!
Ich wusste doch, dass schon EINE Käserolle ein Backblech beim Schmelzen fast überfüllt. Wie komme ich auf die Idee, gleich ZWEI Packungen auf ein Blech zu legen? Weil der Ofen jetzt sowieso käsekontaminiert ist und verbrannt riecht, lasse ich den Chip noch die letzten fünf Minuten fertigbacken.
Ergebnis: Leckerer Käse, der aber nicht überall knusprig ist, weil die Lage zu dick war, ein Ofen, den ich mühsam von eingebackenen Käseresten freischrubben muss, leichte Übelkeit am späten Abend, weil es dann doch ziemlich viel salziger Käse war, den ich geknabbert habe, und außerdem weitere zwei Tage lang ein penetranter Käsegeruch in der Küche, der sich nicht weglüften lässt und starke Anbrenn-Unternoten bekommt, sobald der Backofen benutzt wird. Ich habe immer gute Ideen.
Am Donnerstagabend gibt es in Köln in der „Kantine“ ein Konzert der „Alte Bekannte“. Sie testen ihre neue Konzert-Weihnachtsedition. Ich hätte lieber ein Testkonzert ohne Weihnachten, weil ich nicht so auf Weihnachten stehe und Weihnachtslieder und -stimmung schnell als kitschig und nervig empfinde. „Jetzt bleib mal ganz objektiv“, ermahne ich mich. „Wenn die Weihnachtslieder nerven, hörst du eben nur auf den Rest des Programmes!“ Ich schüttle den Kopf über mich und seufze: „Meine Güte, dann geh eben nicht auf ein Weihnachtskonzert!“ Wo ich Recht habe, habe ich Recht.
Temperaturmäßig geht es zufällig deutlich runter, so dass ich winterpassend erst in der Kälte vor der Kantine friere und danach im ziemlich kühlen Innenraum. Schon nach zehn Minuten hole ich mir meine Jacke wieder von der Garderobe zurück. Zum Glück findet die Veranstaltung nicht auf der Open Air Bühne statt, die es im Hof der „Kantine“ ebenfalls gibt.
Die Weihnachts-Variante des Konzertes finde ich überraschend gut. Nicht dass ich die Weihnachtslieder brauche, aber es gibt einige schön gesungene klassische Lieder, ein bisschen Lustiges und das Lied „Weihnachten allein“, das von Clemens ist und das ich sehr gelungen finde. Der andere Teil des Konzertes sind die völlig normalen Lieder, die auch sonst im Programm sind.
Das Konzert läuft gut, es gibt ein paar dicke Texthänger, die lustig gelöst werden – alle sind entspannt, weil es ja ein „Testkonzert“ ist -, und es wird auch auf der Bühne viel gelacht und oft zufrieden gelächelt. Sogar über die Wise Guys Lieder im Programm freue ich mich, auch wenn die sich in meinen Ohren immer gecovert anhören und in eine andere Zeit und zu einer anderen Gruppe gehören. Nur mit „Stille Nacht“ am Ende kann ich mich gar nicht anfreunden. Das ist für mich ganz genau Heiligabend und nur für ein klassisches Programm geeignet. Aber das ist mein persönliches Problem, die Zuschauer um mich herum sehen das ganz anders und singen am Ende gerührt mit. Ich finde die Mischung für eine „Weihnachts-Edition“ aber insgesamt gut, weil für alle Besucher etwas dabei ist. Ein Alte-Bekannte-Konzert mit einem dicken Touch Weihnachten. Funktioniert. Ich bin danach zwar kein bisschen in Weihnachtsstimmung, aber es ist ja auch erst November und ich bin nicht die Zielgruppe. Stattdessen bin ich aber gut gelaunt und hatte einen unterhaltsamen, schönen Abend.
Am nächsten Vormittag fahre ich nach Frankfurt. Am Abend hat das Theaterstück „Gaslight“ der englischsprachigen Amateur-Theatergruppe F.E.S.T. (Frankfurt English Speaking Theatre) Premiere. Ursprünglich war geplant, dass ich es am nächsten Abend zusammen mit dem Frankfurter Sohn ansehe. Der ist allerdings inzwischen für den Umbau eingeteilt und übernimmt, weil er sowieso da ist, einen kurzen stummen Auftritt als einer von zwei Polizisten. Dass ich dann am Samstag alleine zusehe, ist kein Problem, aber warum sollte ich am Freitagabend, wenn er dort beschäftigt ist, alleine in seiner Wohnung sitzen? Kurzentschlossen hole ich mich noch eine Karte für den Freitag.
Das Kulturhaus, in dem „Gaslight“ gespielt wird, gefällt mir schon von außen sehr. Etwa 80 Zuschauer passen in den Saal, es wird deutsch und englisch durcheinander gesprochen und von einer in die andere Sprache gewechselt. Die Stimmung ist locker und offen und ich fühle mich sofort wohl.
Das Stück „Gaslight“ fängt spannend an. Eine ältere Dame wird brutal ermordet und fällt leblos auf den Boden. Es verwundert mich allerdings, dass sie sich nur Sekunden nach dem Mord erhebt und im Hintergrund mit sicheren Schritten zur Seite abgeht, während ihr Mörder, davon völlig unbeeindruckt, die Wohnung weiter durchwühlt. Ich überlege, ob sie doch nicht tot war und jetzt vom Nebenzimmer aus die Polizei ruft oder ob sie dem Mörder nur vorspielte, dass sein Messer ihre Kehle durchtrennte. Es stellt sich später heraus, dass sie das Halbdunkel im Hintergrund der Bühne für Ganzdunkel hielt und einfach schon mal abging.
Der Sohn kommt am Ende des Stücks als grimmiger Polizist auf die Bühne, dem anzusehen ist, dass er Mörder nicht einfach laufen lässt. Es gibt Gelächter, wobei das nicht dem Sohn gilt, sondern dem Charakter des sehr pflichtbewussten und unbeirrbaren Polizisten. Ich mag sehr, dass der Sohn auch der popeligsten Nebenrolle einen Charakter und eine Geschichte gibt. Genau dieser Sohn bekam mal Jubel und Extraapplaus, nachdem er die komplette erste Hälfte eines Theaterstücks ohne zu sprechen und ohne sich zu bewegen als durchgehend grimmig guckender Butler auf der Bühne stand und in die Luft starrte. Nichts tun, aber das konsequent und mit großer Ausstrahlung, das muss man erstmal können. Ich ärgere mich am Ende ein bisschen, dass ich kein Foto von seinem Polizistenauftritt gemacht habe, aber das kann ich ja am nächsten Abend nachholen. Auf dem Rückweg sagt der Sohn, dass er am nächsten Abend „frei“ habe, um das Stück mit mir gemeinsam ansehen zu können. Ich freue mich, es mit ihm gucken zu können, ärgere mich aber jetzt doch sehr, dass ich nicht kurz das Handy gezückt habe. Wie schade.
Am nächsten Morgen sind wir schon vor 10 Uhr am „Alten Polizeipräsidium“. Das steht seit 2002 leer, wurde in einigen Bereichen bis 2010 noch für Clubveranstaltungen und Ausstellungen genutzt, und verfällt trotz Denkmalschutz. Wir haben eine „Lost Places Tour“ gebucht. Festes Schuhwerk, Taschenlampen und „nicht von der Gruppe entfernen“ sind Bedingungen und außerdem ein Bauhelm auf dem Kopf wegen der Versicherung. Es geht zwei Stunden lang durch das riesige Gebäude mit seinen Spuren aus der Preußenzeit bis hin zu den Partynächten.
Der sympathische Guide ist Geschichtsarchitekt und weiß alles über den Aufbau und die Geschichte des Gebäudes, kennt sich aber auch mit der Polizeiarbeit aus. Er zeigt das frühere Büro des Polizeichefs, weiß, warum es „Vernehmung“ und nicht „Verhör“ heißt, und dass der einseitige Spiegel im Vernehmungszimmer, von dem nur noch der Rahmen existiert und den alle interessiert betrachten, nur für die Dreharbeiten eines Tatorts eingebaut wurde. Wir laufen durch Gänge, Treppen hoch, Treppen runter und haben immer wieder neue malerisch-zerfallende Anblicke.
Als wir fertig sind, hat es sich sehr gelohnt, wir sind aber auch total durchgefroren.
Ganz in der Nähe gibt es ein kleines koreanisches Restaurant, in dem wir zwischen asiatischen Gästen sitzen und Rahmensuppe essen. Die heiße Brühe lässt sich gut mit einer Holzkelle essen, für die lange Nudeln gibt es nur glattgelackte Stäbchen. Die Nudeln sind flutschig. Der Sohn kommentiert: „Die Asiaten haben das System Suppe und Stäbchen nicht ganz verstanden.“
Wir allerdings nicht das System „Kimchi“, denn nachdem ich die beiden Beilagen „Kräuter“ und „irgendsoein Zeug“ in die Suppe gekippt habe, merke ich, dass das „Zeug“ wohl Kimchi und die Salatbeilage ist. Egal. Die Suppe schmeckt köstlich und wärmt von innen, die beiden spontan erstandenen koreanischen Tee-Milch-Getränke sind sehr lecker.
Am Abend sehen wir die zweite Aufführung von Gaslight an. Die tote Dame bleibt deutlich länger liegen und steht erst auf, als das Bühnenlicht runterfährt. Auch alles andere läuft noch runder, wie das immer so ist bei Theaterstücken, die frisch auf der Bühne sind. Insgesamt ist es sehr gut gemacht und es ist immer wieder erstaunlich, wie professionell Amateurgruppen sein können. Klasse! Und wie es bei dem Sohn und mir ist, sprechen wir danach noch ausgiebig über die Stellen, die wir streichen, straffen oder noch emotionaler machen würden. Regie auf hohem Niveau, aber es ist schon interessant, dass wir fast immer die gleichen Stellen haben, die uns auffallen und die wir ähnlich ändern würden.