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Blog 772 – 12.02.2023 – Schwere Dame, Usseliges und Idioten

Mein im letzten Sommer eingerichteter aber noch nicht genutzter Steinhauer-Platz im Garten erweist sich als Glücksfall. Um langwierig an einer Klappmaulpuppe zu bauen oder konzentriert am Theaterstück zu schreiben, finde ich noch nicht die Zeit, aber zwischendurch mal eine halbe Stunde am Stein zu klopfen, geht gut. Da arbeite ich nämlich nur für den Moment, muss keinen Spannungsbogen finden oder einen Anschluss machen. Ich kann jederzeit aufhören, Eisen und Klöpfel ablegen, kurz den Staub abklopfen und einfach gehen.

Die Dame habe ich vor zwei Jahren beim Steinhau-Wochenende begonnen und möchte sie seitdem noch weiter bearbeiten. Während ich die Brust verkleinere, denke ich darüber nach, ob ich eine Aktfigur daraus mache. Das wäre weder moralisch noch arbeitstechnisch ein Problem. Aber nein, ich will das gar nicht. Eine sonnenbadende Dame im Badeanzug finde ich tatsächlich viel interessanter und cooler als eine nackte.

Aus einem richtig großen Stein mal eine Figur zu hauen, am liebsten lebensgroß, fände ich toll, aber die würde ich ohne technische Hilfsmittel gar nicht von der Stelle bekommen. Die Steindame wiegt schon deutlich über 30 Kilo. Ein bisschen wird sie noch abnehmen durch mein Wegklopfen. Aber meine Faustregel muss bleiben: Es muss sich zu zweit noch den Hang hochtragen lassen.

Im Vorgarten entferne ich zwischen meinen noch kahlen Weinreben das frisch gewachsene Unkraut und entdecke dabei, dass nicht nur an einigen, sondern an unerwartet vielen Stellen kräftige Tulpenspitzen aus dem Boden kommen. Ich hielt die meisten Zwiebeln für vertrocknet und zu Staub zerfallen, weil sie im letzten Sommer wochenlang in sonnenbeschienener, knochentrockener Erde steckten. Die Weinreben haben meterlange Tiefwurzeln und halten eine Trockenzeit in den oberen Erdschichten aus, aber Tulpen? Anscheinend sind sie zäher als ich vermute. Vor ein paar Tagen dachte ich noch, dass ich die wenigen Überlebenden nach dem Frühling ausgraben und hinten in den Garten umsiedeln werde – jetzt zeigt sich, dass in der vermeintlich toten Unterwelt noch viel los ist.

So. Die Renovierprojekte sind vorbei, der Sohn ist gut umgezogen, der Frühling steht vor der Tür. Kaum habe ich das Gefühl, dass ich ab der nächsten Woche endlich deutlich mehr Zeit haben werde, weil ich weitere Aktionen wie „neues Dach für Grillhaus“ und „Musikzimmer entstapeln und ausmisten“ auf später verschiebe, fällt mir ein, dass ich noch das Badezimmer überarbeiten könnte. Da ist schon lange eine neue Zimmerdecke fällig und die beiden Wandschränkchen müssen ersetzt werden. Im Rheinland sagt man „usselig“ (rheinisch gesprochen: „üsselisch“), wenn etwas abgewohnt und nicht mehr gut aussieht. Man bezeichnet mit „usselig“ auch feuchtkaltes Wetter, aber ich meine tatsächlich die Decke und die Schränkchen.

Das Auswechseln ist nicht eilig, denn das leicht abgewohnte Aussehen ist nicht plötzlich gekommen, sondern schon seit mindestens zwei Jahren zu bemerken, aber was erledigt ist, ist erledigt. Außerdem bin ich gerade im Deckerenovieren und Schrankaufbauen drin und das ganze Werkzeug liegt noch griffbereit im Keller. Falls es nicht böse Überraschungen beim Entfernen der alten Deckenverkleidung gibt, sollte das relativ schnell gemacht sein. Wenn ich Pech habe, wird es eine längere Aktion.

Bei allen Überlegungen ist mir völlig klar, in was für einem Luxus ich lebe und was für luxuriöse „Probleme“ ich habe. In der Türkei und Syrien sind gerade unglaublich viele Menschen an den Folgen von Erdbeben gestorben, und wie viele noch einige Tage auf eine Rettung unter den Trümmern gehofft hatten, wird nicht mehr festzustellen sein. In der Ukraine bombt Putin seit einem Jahr und will in seinem Wahn dumpf vernichten und auslöschen. Ich bin völlig überzeugt, dass er nicht gewinnen kann, aber er schafft jetzt schon die Probleme der nächsten Jahrzehnte, denn wann wird man Russland wieder vertrauen können?

Putin, Trump, Kim Jong-un, Orban, Erdogan … momentan sind wir von unberechenbaren Idioten umgeben. Dazu noch die Querdenker und Aluhutträger im eigenen Land, die sich ohne Hinterfragen gegen Logik, Vernunft und Wissenschaft entschieden haben. Puh! Manchmal tut es mir gut, wenn ich mich nicht so weit umgucke, sondern in meiner privaten Blase bleibe. Dass ich trotzdem so unglaublich optimistisch bleibe und viele Pläne mache, fühlt sich gut an.