Blog 796 – 30.07.2022 – Potsdam, Treppe und Rainald in der Waldbühne
Das Wetter ist endlich kühler geworden. Meist ist es sonnig, aber einmal gibt es einen kurzen, aber heftigen Wolkenbruch. Innerhalb von zwei Minuten sind die Regentonnen voll und laufen sprudelnd über. Seit Wochen der erste richtige Regen und dann gleich ein bisschen zu viel. 20 km entfernt, in Frechen, deckt eine dreiminütige Windhose Dächer ab und zerfetzt Bäume.
Am Wochenende wird Rainald Grebe ein großes Spektakel in der Berliner Waldbühne geben. Das sollte schon zwei Jahre früher stattfinden, musste wegen Corona aber verschoben werden. Schon für den ersten Termin hatte ich eine Rainald-Klappmaulpuppe gebaut, die eventuell in der Show eingesetzt werden könnte. Sie gefällt ihm gut. Jetzt gibt es in den Wochen vor dem Waldbühnentermin Ideen, Pläne und Überlegungen über einen Auftritt von ihr. Wie lässt sie sich in die Show einbinden, wo passt sie rein? Alles ist möglich, alles ist offen. Die Rainaldpuppe ist bereit. Ich bin es sowieso.
Doch dann muss Rainald, der gesundheitlich angeschlagen ist, zehn Tage vor der Show, mitten in den Planungen bremsen und Ideen fallen lassen. Sprudelndes Chaos, das ihn früher eher beflügelte, frisst jetzt seine Energie. Die Show ist sowieso schon groß und aufwändig, viele Leute mischen mit, es lässt sich nicht mehr alles umsetzen. Natürlich ist es schade, dass die Puppe aus der Planung fällt, aber viel wichtiger ist, dass Rainald nicht über seine Konditionsgrenzen geht, wenn er merkt, dass ihn die ausufernde Planung stresst und überrollt. Er mailt, dass er meinen Namen für die Gästeliste und einen Backstagepass weitergibt – aber dann erhalte ich von der zuständigen Stelle keine Reaktion. Was jetzt? Stehe ich drauf oder nicht? Ich weiß nicht, wer jetzt zuständig ist, höre bis zur Abreise nichts mehr und weiß aus Erfahrung, dass bei Gästelistekarten auch mal was schiefgehen kann. Gerade bei so großen Konzerten kann auch mal ein Name verlorengehen. Aber bei Rainald jetzt nochmal nachfragen, will ich nicht. Der hat gerade mehr als genug zu tun. Kurzentschlossen kaufe ich mir eine Eintrittskarte. Wäre ja noch blöder, wenn ich am Samstag vor dem Tor stehe und komme gar nicht rein!
Mein Zimmer ist schon ab Donnerstag gebucht, doch anstatt nun am Freitag mit einer Puppennummer zu proben, habe ich freie Zeit. Auf die Berliner Innenstadt und entsprechende Hektik habe ich gerade überhaupt keine Lust, aber in Potsdam war ich noch nie. Mein Plan: Ich buche mir im Vorfeld eine Schifffahrtskarte, mache am Freitag vier Stunden lang gemütlich eine Wassertour um Potsdam herum und lasse mir die Sonne auf die Nase scheinen. Kaum habe ich die Schiffskarte fest gebucht, hört das überwiegend sonnige Wetter auf und genau für Freitag und Samstag wird in Berlin starker Regen angesagt. Das mit der Sonne auf die Nase fällt wohl weg. Und für ein Open-Air-Konzert sieht das auch nicht ideal aus. Freitag und Samstag Regen – den Tag davor und den danach trocken? – Wie gemein ist das denn?
Wie geplant fahre ich am Donnerstag nach Berlin, wo ich am frühen Abend ankomme, und am Freitagmorgen nach Potsdam. Weil das Wetter tatsächlich sehr unbeständig ist, sind nur wenige Mitfahrer auf dem Schiff. Gleich zu Beginn schüttet es, so dass alle erstmal ins Unterdeck flüchten. Doch nach einigen Minuten klart es auf und ich gehe wieder aufs Oberdeck. Die Fahrt geht an Gebieten vorbei, die an Venedig erinnern, über große und kleine Seen und Kanäle, und mitten durch grüne Landschaften. Sehr entspannend und schön.
Ich merke mal wieder, dass ich an einem Gewässer leben müsste. Gerne etwas abgelegen, mit einem zugewachsenen Grundstück und einem Steg am Ende des Gartens, der ins Wasser führt und an dem ein Boot liegt.
Auf dem Schiff bestelle ich mir „ein Kännchen Tee“ und erhalte ein Kännchen, das die Verkleinerungsform „chen“ zu Recht trägt. Ein Teebeutel reicht für die Wassermenge völlig aus.
Nach der Schiffstour besuche ich noch das Filmmuseum in Potsdam. Ursprünglich hatte ich Schloss Sanssouci angedacht, aber nachdem der Weg von meinem selbstgewählten Vorort-Parkplatz zur Anlegestelle so unerwartet lang war und ich auch schon die Innenstadt von Potsdam im Zickzack durchlaufen bin, möchte ich am Nachmittag nicht auch noch durch ein riesengroßes Schloss und einen noch viel größeren Park laufen. Als ich nach dem Museumsbesuch am geparkten Auto ankomme, ist das Schloss nur einige Fußminuten entfernt, hat aber keine Chance mehr. Reicht für heute.
Am nächsten Tag besuche ich am Vormittag die Zitadelle Spandau. In der gibt es weit mehr zu sehen, als ich vermute. Ich laufe drei Stunden herum, sehe mir Ausstellungen an, betrachte Fledermäuse, Kanonen und Bismarck-Fanartikel, klettere auf den Turm und gucke runter.
Beim ersten Blick auf das Treppenhaus im Turm muss ich allerdings kurz schlucken. Von genau so einer spiralförmig nach oben verlaufenden Holztreppe in einem Turm habe ich vor etwa einem Jahr geträumt.
Da war die Treppe allerdings nur noch in Bruchstücken vorhanden, viele Stufen fehlten ganz, und ich traute mich nicht hinauf, weil ich befürchtete, dass dabei auch die kurzen Reststücke herausbrechen könnten und ich abstürzen würde. Dabei gehörte der Turm – im Traum – zu meiner Wohnung und ich war durchaus neugierig, oben nachzusehen, was es dort für Räume und Gegenstände gab. „Trau dich doch!“, sagten irgendwelche Leute zu mir, aber ich traute mich nicht, weil alles viel zu morsch aussah.
Jetzt stehe ich vor einer sehr ähnlich wie in meinem Traum konstruierten spiralförmigen Treppe. Sie wirkt stabil und sicher, aber gruselig ist das schon. Woher kennt mein Unterbewusstsein die Treppe im Spandauer Turm in kaputt? Und was hat das zu bedeuten? Nichts, nehme ich an, und gehe die Treppe hoch. Allerdings vorsichtig. Sicher ist sicher.
In einer der Ausstellungen in der Zitadelle sind Statuen zu sehen, von denen die meisten beschädigt sind. Es fehlen Finger, Arme und manchmal auch Köpfe. Auch wenn man sich ein großartiges Denkmal erstellt, ist das nicht für die Ewigkeit. Beziehungsweise nicht immer so eindrucksvoll, wie man es geplant hatte.
Am Nachmittag fahre ich zur Waldbühne. Meine gekaufte Eintrittskarte habe ich in der Tasche, den Fotoapparat im Hotel gelassen, denn der darf nur rein, wenn ich einen Backstagepass habe. Das ist aber unsicher. Wenn es keinen gibt, stehe ich blöd mit meinem Fotoapparat vor dem Tor. Aber egal, ich freue mich aufs Konzert und bin früh genug da, um mich in die Warteschlange einzureihen. Sicherheitshalber frage ich nach der Gästeliste: „Ich sollte draufstehen, weiß aber nicht, ob das geklappt hat.“ Zack! wird genickt, mir ein Backstagepass in die Hand gedrückt, viel Spaß gewünscht und ich werde aufs Gelände geschickt. Der Fotoapparat liegt brav im Hotel. Ich schüttel lachend den Kopf. Na, dann muss es mit dem Handy gehen, für einige Bilder zum Bericht wird das reichen. Aber warum ich selber gerne kurze Bestätigungen oder Absagen schicke, damit alles klar ist, weiß ich auch.
Zu meiner großen Freude höre ich beim Betreten des Geländes Rainald beim Soundcheck kräftig singen. Das hört sich nach Energie und einer guten Grundlage für das lange Konzert an. Wie gut!
Auch Bodo Wartke wird am Abend auftreten, und ich freue mich gleich noch einmal, als wir neben der Bühne aufeinandertreffen. Wie cool, dass Bodo eines meiner Rainald-Lieblingslieder singen wird! Was für eine schöne Verbindung.
Um 19 Uhr soll das Konzert beginnen. Um 17 Uhr beginnt der Einlass, die ersten Menschen suchen sich Plätze auf den Holzbänken. Eine Viertelstunde später beginnt ein Wolkenbruch mit dunklen Wolken, Donner und viel Regen. Ergeben hocken alle in Regenjacken, unter Schirmen oder in sofort völlig durchnässten Klamotten im rauschenden Regen und warten fast regungslos ab. Nach zehn Minuten wird das Rauschen leiser und fünf Minuten hört das letzte Tröpfeln auf. Am Himmel wird es hell. War es das für den Abend?
Um 19 Uhr startet das Konzert, das voll, bunt, spannend und sehr abwechslungsreich ist. Der Mittelpunkt ist Rainald, der seine Krankheit immer wieder zum Thema macht und den Abend mit unglaublicher Energie durchzieht. Das Publikum ist bestens drauf.
Es jubelt auch, als Bodo Wartke angesagt wird. Der singt ein schönes, sentimentales „Silvester“ von Rainald und danach sein eigenes „Liebeslied“. Als er nach drei weiteren Sprachen für die nächsten Strophen fragt, erhält er von den Waldbühnenzuschauern einen sehr lauten, gleichzeitig gerufenen Sprachklumpen, aus dem kein einzelnes Wort zu verstehen ist. Souverän tut er so, als hätte er etwas herausgehört. Eine lustige Szene.
Mit Rainald und weiteren Gästen geht es weiter. Was für ein Spektakel! Vier Stunden lang und ohne Pause. Es wird keine Minute langweilig, sondern bleibt durchgehend überraschend und macht mit seinen ungewöhnlichen Ideen viel Spaß. Und es wirkt auch gar nicht chaotisch, sondern durchgeplant und gut inszeniert.
Die große Show wird am Ende gewaltig bejubelt. Toll! Was für ein Fest!
Einen ausführlichen Bericht zum Rainald-Konzert an der Waldbühne wird es demnächst auf der reihedrei-Homepage geben. Da ich die aber gerade in die neue Version umarbeite und auf der bisherigen nichts mehr veröffentlichen kann, wird er erst in einigen Wochen zu lesen sein.