Blog 851 – 18.08.2024 – Rollen, nähen, streichen und Purple Konzert
Nach einer Woche im Krankenhaus geht es meinem Vater deutlich besser. Seine „Puddingbeine“ werden kräftiger, und inzwischen übt eine Ergotherapeutin mit ihm die ersten Schritte am Rollator. Ich bin sehr froh, denn das macht Hoffnung, dass er wieder selbständig am Rollator oder sogar Stock laufen kann.
Am Anfang der Woche habe ich nicht nur die täglichen Krankenhausbesuche im Tagesplan, sondern beginne auch mit dem Ausräumen der Schränke in einem Zimmer im Haus meiner Eltern. Das soll möglichst schnell renoviert werden, um dann für eine 24-Stunden-Hilfe zur Verfügung zu stehen. Wann die kommt, ist noch die Frage, aber wenn zumindest das Zimmer fertig ist, bin ich beruhigt. Wo mein Vater bleibt, wenn das Krankenhaus ihn noch nicht sicher gehfähig entlässt, noch keine 24-Hilfe da ist, aber auch kein Platz in der Kurzzeitpflege, ist ein Problem, an das ich möglichst nicht denke. Tue ich manchmal trotzdem, bleibt aber wegen der vielen Unbekannten in der Rechnung völlig unplanbar.
Eine Freundin ruft zufällig an. Ich erzähle, dass ich statt Ferien nun doch immer etwas zu tun habe. Sie kennt die Situation mit hilfsbedürftigen Eltern und weiß, wie viel eigene Zeit dafür aufgebracht werden muss. „Kommt doch am Freitag zum Konzert!“, schlägt sie vor. „Ich schreibe euch auf die Gästeliste.“ Äh, Freitagabend? Alleine hätte ich den Termin nicht gemacht, weil ich mir gerade nicht noch weitere Termine in die Tage holen möchte, aber plötzlich finde ich die Idee sehr schön. Ein Konzert am Freitagabend – das ist doch jetzt mal was ganz anderes und fast wie ein kleiner Urlaub. Ja, das machen wir.
Am Montagabend setze mich nach einem durchgetakteten Tag noch etwas in den Hof, um endlich wieder an meiner Katze zu nähen. Dazu höre ich einen der alten Hörspielkrimis, die Bastian Pastewka unter dem Titel „Keinen Mucks“ veröffentlicht. Es ist tropennachtsommerlich warm, das alte Hörspiel mit den Sprecherstimmen der 60er-Jahre gefällt mir sehr, und die Katze macht Probleme. Immer noch probiere ich an den Möglichkeiten, wie ich den Unterkiefer lässig öffnen und schließen kann. Mein Daumen hat zu wenig Platz, aber ich komme langsam in die Richtung einer Lösung. Ich höre auf, ehe ich die Lösung habe, aber die Stunde mit Hörspiel und Katze macht mich sehr zufrieden. Eigentlich hätte ich jetzt in meinen Ferien viele Stunden dieser glückseligen Zufriedenheit haben können, aber das wäre ja vor Zufriedenheit und Glück kaum auszuhalten gewesen. Ähm, das war jetzt Ironie.
Auch am Dienstag verbringe ich einige Stunden im Krankenhaus und mit Telefonaten. Ich beschließe, den Mittwoch „freizunehmen“. Da werde ich zuhause bleiben, nur mit meinem Vater telefonieren und mit den Leuten, die anrufen, um wegen ihm nachzufragen, habe aber auch mal Zeit für eigene Sachen. Kaum habe ich das entschieden, ruft mein Vater an, dass er in ein anderes Krankenhaus in der Nachbarstadt verlegt wird. Eine prima Nachricht, denn dort gibt es bessere körperliche Förderung für ihn, aber es bedeutet, dass ich dann doch am nächsten Tag zu ihm ins Krankenhaus fahren muss, um seine Sachen zu packen und mit frischer Wäsche zu ergänzen. Ferienmäßig gesehen ist der Wurm drin.
Immerhin kann ich den Donnerstag Zuhause verbringen. Am Nachmittag setze ich mich für zwei Stunden an meine Katze, die wirklich viel Arbeitszeit braucht. Ich muss bei jedem Schritt überlegen, wie ich den machen könnte und kann mich nicht auf meine Erfahrungen des bisherigen Bauens verlassen. Aber Stück für Stück komme ich weiter. Vielleicht kommt mir die Arbeit aber auch nur so langatmig vor, weil ich nicht dranbleiben kann, sondern immer nur in sehr kleinen Abschnitten arbeiten kann.
Am Freitagvormittag bin ich im „neuen“ Krankenhaus und erlebe meinen Vater, der aus dem Bett aufsteht und am Rollator zügig aus dem Zimmer und über den Gang läuft. „Halt! Stopp!“, ruft der Therapeut hinter ihm her und ermahnt ihn, nicht so krumm hinter dem Gerät zu hängen, sondern aufrecht zu stehen. Mein Vater geht einen Schritt näher an den Rollator heran, schiebt ihn wieder an und läuft genauso krumm und schnell weiter. „Halt!“, ruft der Therapeut. Ich grinse vor mich hin. Das ist jetzt das Problem des Therapeuten, der das schon in den Griff bekommen wird. Sehr gut ist, dass mein Vater mobil wird. Ein Bein ist immer noch sehr unsicher, aber jetzt wird trainiert.
Am Nachmittag fahre ich mit dem Gatten nach Niederkassel-Mondorf, wo am Rheinufer ein Open-Air-Konzert von Purple Schulz stattfindet. Auf der Tour dabei ist Jördis Tielsch, die mir seit Jahren ein Begriff ist, die ich aber noch nie live gesehen habe. Purple hat seit kurzer Zeit graumelierte Haare und trägt einen ebenfalls graumelierten Mehrtagebart. Es steht ihm so gut! Er sieht trotz Grau nicht älter aus, sondern einfach nur authentisch. Singen tut er wie vorher, also emotional und mit seiner wunderbaren und unverwechselbaren Stimme.
Jördis greift wechselnd zur Geige oder Gitarre, spielt auch mal Klavier und Akkordeon, und singt in den Refrains eine zweite Stimme. Besonders der warme Geigenton gefällt mir sehr gut und gibt altvertrauten Liedern einen neuen Charakter. Es passt alles gut zusammen und ich habe nicht das Gefühl, dass zwei einzelne Persönlichkeiten auf der Bühne stehen, sondern dass sich alles sehr harmonisch miteinander verbindet. Als müsste es genau so sein. Purple ist gut gelaunt und locker, womit er das Publikum sofort mitnimmt, und ich bin tatsächlich sehr schnell entspannt und genieße den Konzertabend sehr.
Das Wetter bleibt freundlich, obwohl für den Abend Regen vorhergesagt wurde. Erst am Ende des Konzertes, bei der Ansage des letzten Liedes, beginnt plötzlich ein Regenschauer. Schirme werden aufgeklappt, einige Zuschauer flüchten von den Sitzen. „Sehnsucht“ ist dran, das Gänsehautlied, bei dem es sonst immer ganz still wird. Purple beginnt den Text zu singen: „Regen fällt …“ und das Publikum lacht auf. Purple grinst: „Ich kann nichts dafür!“, wird wieder ernst und macht konzentriert weiter. Und dann wird es erstaunlicherweise doch sehr ruhig im Publikum und sehr intensiv, weil das Lied und der fallende Regen und das Licht auf der Bühne und die nassen Tropfen an den Regenschirmen eine ganz besondere Atmosphäre ergeben. Sehr klasse. Das werde ich so schnell nicht vergessen.
Es gibt Standing Ovation und begeistertes Klatschen vom nassen, aber freudigen Publikum. Kaum ist das Konzert offiziell beendet und die ersten Stühle werden weggeräumt, hört der Regen auf. Zumindest für die nächste Stunde. Hach, ein schöner Abend, der mir sehr gutgetan hat.
Am nächsten Morgen klingelt der Wecker um Sieben – versehentlich eine Stunde zu früh. Ich habe mich in der Nacht beim Einstellen verrechnet. Beziehungsweise, ich habe „Abfahrtszeit halb 10“ gedacht und das in „8 Uhr 30“ umgerechnet. Das ist blöd, wenn die Nacht sowieso kurz ist, aber dann kann ich zumindest gemütlich in den Tag starten. Um 10 Uhr geht es im Haus meines Vaters ans Renovieren eines Zimmers, das ich mit meiner Schwester für eine 24-Stunden-Hilfe vorbereite. Während der Partner meiner Schwester den Garten kärchert und mit lauten Maschinen überarbeitet, räumen wir das Zimmer aus, entfernen Schrauben, Dübel und Nägel, verspachteln Löcher, waschen Gardinen, kleben ab, suchen Schlüssel, streichen die Wände und räumen dann erste Möbel wieder ein, während andere zu Sperrmüll erklärt werden.
Nach sechs Stunden ist das Wichtige geschafft, aber noch nicht alles fertig. Es liegt auch noch ziemlich viel herum, aber das kann in der nächsten Woche weggeräumt werden.
Auf dem Rückweg fahre ich beim Krankenhaus vorbei, um meinen Vater zu besuchen und Wäsche mitzubringen, und bin um 19 Uhr endlich hungrig und sehr müde wieder Zuhause.