Blog 859 – 13.10.2024 – Passwort, Schuhe und kein Jess Jochimsen
Am Sonntag wusel ich lange im sonnigen Garten herum und fülle mit dem Ertrag die braune Biotonne. Es ist ein ruhiger Tag. Die bisher zeitintensive Situation mit meinem Vater scheint sich tatsächlich zu entspannen. Nach seinem kleinen Schlaganfall erholt er sich merklich und seine Pflegekraft Aleksandra kümmert sich mehr als zuverlässig um ihn. Ich schlafe jetzt viel besser, weil ich weiß, dass es inzwischen läuft, und bin nicht mehr gefühlt ständig unterwegs, am Telefon oder bei Internetrecherchen. Probleme und Mehraufwand bleiben, Telefonate, Internetrecherchen und Anträge auch immer wieder, aber ich werde ab dieser Woche so langsam wieder in mein „normales“ Leben kommen können.
Mir fällt ein, dass meine reihedrei-Homepage seit mehr als einem Jahr eingefroren ist und nicht bearbeitet werden kann, weil ich die steigenden Zusatzkosten des Anbieters nicht mehr zahlen wollte. Einen großen Teil der Seiten und Berichte habe ich im letzten Jahr schon in einem neuen Programm angelegt und da sollte ich jetzt mal dringend weitermachen.

Das letzte Mal eingeloggt habe ich mich im Januar oder Februar. Jetzt weiß ich blöderweise nicht mehr, mit welchen Zugangsdaten ich reingekommen bin. Wie hieß denn die Arbeitsversion überhaupt? Irgendwo habe ich doch vollgekritzelte Unterlagen dazu. Ich finde einige Zettel, aber keine Zugangsdaten. Wenn ich jetzt niemals wieder herausfinde, wie meine Arbeitsversion hieß und welches Passwort ich habe, wird sie ewig unfertig im Internetuntergrund herumschweben und all meine Arbeit war umsonst. Und es steckt echt schon viel Arbeit drin.
Zum Glück ergibt eine Kombination aus Notizen, Erinnerungen des Düsseldorf-Sohnes und Ausprobieren den Zugang. Ja, es ist noch einiges zu tun, vor allem am Design, aber es ist auch schon viel da. Da werde ich mich jetzt mal wieder auf den aktuellen Stand bringen, um weiter an den noch fehlenden Seiten und Berichten zu arbeiten. Es wäre schon schön, wieder eine funktionierende und aktuelle Homepage mit den Konzertberichten zu haben. Im letzten Jahr habe ich einen langen Bericht zu Rainald Grebe in der Berliner Waldbühne geschrieben. Den hat – außer mir – noch niemand lesen können. Es wird Zeit.

Am Montag soll mein „normales“ beginnen, aber der Tag fällt noch etwas raus. Ach, nee, doch nicht, denn ich fahre nach Frankfurt und das mache ich inzwischen ja häufiger. Der Frankfurt-Sohn war einige Tage da, hat sich mit Freunden getroffen und muss jetzt wieder zurück. Wir kommen gut durch, essen bei ihm gemütlich Mittag, trinken schwarzen Tee mit Milch und danach fahre ich schon wieder ab. Es stehen für mich immer noch Museumsbesuche in Frankfurt auf dem Wunschzettel, aber auch wenn die zeitlich jetzt wieder möglich wären, drängt es mich nach Hause. Ich möchte doch mein eigenes Leben wieder starten.
Am Abend ist noch Besprechung bei Szene 93 über Theaterstücke im Jahr 2025 und ich habe wieder Energie genug, um hinzugehen. Hurra! Abgesehen davon, dass sich mehr als genügend Leute mit geplanten Stücken melden – gleich drei haben dabei den nächsten Herbst als Wunschtermin – kann ich momentan keine großen Projekte machen. Dabei hätte ich große Lust mein eigenes Stück inszenieren, das inhaltlich ja schon steht und schnell komplett fertig geschrieben wäre. Auch ein eigenes Kinderstück würde ich gerne mal wieder machen. Von mehreren Leuten wurde ich inzwischen angesprochen, ob ich nicht wieder Regie führen möchte und dass sie großes Interesse hätten, dann mitzuspielen. Das ist natürlich schön, wenn meine Arbeit und das Ergebnis davon so gut ankommen. Mal sehen, ob ich im kommenden Jahr etwas für 2026 anmelden kann. Oder für 2027. Wenn ich dazu bereit bin, sind aber vielleicht auch die nächsten Jahre bei Szene 93 schon ziemlich verplant. Vermutlich ist es besser, wenn ich mich parallel auch mit anderen Sachen beschäftige.
Der Mittwoch ist Papa-Tag und wie immer bis zum Nachmittag voll mit Rezept abholen, zur Apotheke fahren, zum Getränkemarkt fahren, mit Aleksandra den Wocheneinkauf machen, Tabletten sortieren, Post durchsehen, Anrufe machen und der Ergo-Therapeutin bei den Übungen zusehen.

Außerdem bestücke ich die wieder im Garten aufgestellte Ratten-Lebendfalle mit neuer Schokolade. Zweimal wurde das Lockfutter in der letzten Woche schon komplett weggefressen, ohne dass die Klappe ausgelöst hat. Ich habe da sofort Bilder vor mir, wie sich eine Ratte bei leiser Mission-Impossible-Musik mit eingezogenem Bauch und ganz langsamen Bewegungen am Auslöser vorbeidrückt, das Futter mit den kleinen Händchen greift und sich rückwärts und vorsichtig zurückzieht. Mein Respekt. Wer das schafft, hat die Schokolade verdient. Vermutlich waren vor zwei Wochen nur darum zwei Ratten in der Falle, weil eine davon blöd war und sich begeistert mit reindrängte und dabei – weil zwei zu breit sind – gegen den Auslöser rempelte.
Am nächsten Morgen fahre ich schon wieder zu meinem Vater. Aleksandra braucht neue Schuhe und im Wohnort meines Vaters, der 38.000 Einwohner hat, gibt es kein einziges Schuhgeschäft mehr. Im Nachbarort, etwa 15 Autominuten entfernt, gibt es einen Deichmann. Da Aleksandra ziemlich genau Vorstellungen von ihren Schuhen zu haben scheint und es möglichst Markenschuhe sein sollen, beschließe ich, noch einen Ort weiter zu fahren. Da gibt es ein Einkaufszentrum mit Deichmann, zwei weiteren Schuhgeschäften und einem Sportgeschäft, in dem es auch die angepeilten Turnschuhe, beziehungsweise Sneaker geben könnte. Dazu viele weitere Geschäfte. Mein Vater muss samt Rollstuhl mit, was ganz schöner Aufwand für ein Paar Schuhe ist. Mein Plan ist, dass Aleksandra in insgesamt vier Schuhgeschäften nach ihren Wunschschuhen gucken kann und ich nebenbei für meinem Vater – „Ich brauch keine Schuhe, ich hab doch welche“ – sehe, ob es nicht doch leichte, schnürsenkellose Schuhe gibt, die er tagsüber zuhause tragen kann. Aleksandra kann abschließend noch einen kleinen Einkaufsbummel durch einige Geschäfte machen, während ich mit meinem Vater irgendwo Kaffee trinke. So der Plan.
Im Einkaufszentrum angekommen, machen wir eine Runde, damit Aleksandra sich orientieren kann. Der Plan bekommt erste Risse, als sie beim Vorbeigehen an den Schuh- und Sportgeschäften abwertend „Zu teuer!“ sagt und nur zu Deichmann möchte. Da guckt und probiert sie eine Weile herum und findet ihre Schuhe. Auch mein Vater findet Passendes. Beim Rausgehen sage ich zu Aleksandra: „Dann kannst du ja jetzt noch eine Runde durch andere Geschäfte gehen und ich trinke mit Papa so lange eine Tasse Kaffee.“ „Nej Kaffee trinken mit Papa!“, widerspricht sie energisch. „WIR Kaffee trinken!“ Es stellt sich heraus, dass sie gar kein Interesse hat, nach anderen Sachen zu gucken oder durch Geschäfte zu bummeln. Also schieben wir Papa im Rollstuhl in eine Bäckerei, trinken zu dritt Cappuccino und fahren danach 25 Minuten mit dem Auto wieder zurück. Super Plan. Deichmann und Kaffee hätten wir auch im viel näheren Nachbarort haben können. Immerhin hat alles gut geklappt und auch mein Vater ist gut gelaunt. Inzwischen ist schon Mittagszeit und während die beiden sich ans Mittagessen setzen, fahre ich wieder nach Hause. Mal eben vier Stunden und 70 gefahrene Kilometer fürs Schuhe kaufen.
Dass mein Kopf weiterhin zu voll ist und ich noch nicht wieder im normalen Leben bin, merke ich am nächsten Morgen. Es ist Freitag und beim ersten Blick auf den Kalender sehe ich, dass am Vorabend Jess Jochimsen im Nachbarort aufgetreten ist und ich nicht nur eine Karte dafür hatte, sondern mich seit Wochen auch sehr auf den Abend gefreut habe. Oh, nein! Wie konnte das passieren? Ich hatte doch durchgeplant, dass ich morgens mit Papa und Aleksandra ins Einkaufszentrum fahren, danach wieder nach Hause und am Abend zu Jess Jochimsen fahren kann. Ich hatte auch schon überlegt, dass ich nach der Veranstaltung einen kleinen Bericht schreiben könnte, weil ich dazu jetzt wieder Zeit habe und weil die Homepage wieder aktiviert werden soll. In meinem Kopf war völlig klar, dass ich zu Jess Jochimsen gehe. Nur wann, war wohl nicht mehr so deutlich. Wegen der Papa-Termine und langen To-do-Listen am Mittwoch und am Donnerstagvormittag hatte ich wohl das Gefühl, ich hätte alles gemacht, was zu tun war. War ja auch wirklich genug. Und auf den Kalender habe ich auch nicht mehr geguckt. Ach, wie schade! Ich bin wirklich traurig.
Am nächsten Tag bekomme ich eine Mail von Eventim, in der ich gefragt werde, wie es mir bei Jess Jochimsen gefallen hat und ob ich nicht einen Fan-Report schreiben möchte. Das ist ja wohl eine ganz gemeine Art von Messer in den Arm stechen und jetzt noch umdrehen.
