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Blog 860 – 20.10.2024 – Muster, Schlafhöhle und Seniorenklasse

Es geht aufwärts. Ich merke, dass mein Kopf langsam wieder Freiräume für andere Gedanken bekommt. Auch kreativ geht es auf die nächste Stufe. Vor dem abendlichen Fernseher wechsle ich vom simplen Sockenstricken, bei dem ich wenig nachdenken muss, zum Musterpullover. Den habe ich im letzten Jahr begonnen, jetzt sind die Ärmel dran. Dass mein Hirn frei für Muster und Form ist, ist ein großer Schritt nach vorne. Demnächst werde ich wohl – nach fast drei Monaten Pause – auch an meiner Katze weiternähen können.


Am Freitagmorgen letzter Woche rief ich beim Hausarzt an, um für meinen Vater eine Verordnung für einen Toilettenrollstuhl, der auch in die Dusche geschoben werden kann, anzufragen. Die Verordnung sei kein Problem, erfahre ich, ich solle aber beim Sanitätshaus anrufen und die korrekte Bezeichnung erfragen. Sowohl im Wohnort meines Vaters als auch in meinem gibt es jeweils die Filiale eines großen Sanitätshauses. Bei beiden komme ich den ganzen Tag über telefonisch nicht durch. Ich lande immer in der Bandansage, die mir mitteilt, dass zu viel los ist und niemand ans Telefon kann. Wenige Minuten vor Geschäftsschluss erreiche ich endlich jemanden. Ja, es gäbe verschiedene Ausführungen des Rollstuhles. Am besten käme ich vorbei, um mir die Modelle anzusehen und alles vor Ort in der Filiale zu besprechen. Es ist Freitagnachmittag, die Filiale macht gleich zu und der Arzt ist sowieso nicht mehr zu erreichen. Also auf die To-do-Liste für Montag.

Am Montag fahre ich gleich am Vormittag zur Filiale im Nachbarortsteil. Es dauert etwas, bis ich einen Parkplatz finde. Toilettenrollstühle zum Ansehen und Vergleichen gibt es vor Ort nicht. „Dafür ist die Filiale zu klein.“ „Haben Sie denn einen Katalog oder so was, in dem ich mir die Modelle mal ansehen kann?“ frage ich. Nein, haben sie nicht, aber sie öffnen mir umständlich die Sanitätshaus-Internetseite und zeigen mir dort einen Toilettenrollstuhl. „Andere Modelle haben Sie nicht?“, frage ich. „Nein. Die anderen können nicht in die Dusche.“ Der Toilettenrollstuhl, der aus Kunststoff ist und recht gut aussieht, benötigt eine private Zuzahlung von 100 Euro. Ich frage: „Gibt es auch Modelle ohne Zuzahlung?“ „Nein.“ Beim Rausgehen bin ich etwas geladen. Für dieses Gespräch und den Blick auf die Homepage sollte ich extra vorbeikommen? Das hätte ich auch am Freitag beim Telefongespräch klären können. Immerhin weiß ich jetzt die genaue Bezeichnung „Toilettenrollstuhl“ – so wie ich es vorher schon gesagt habe -, kann beim Hausarzt telefonisch die Verordnung bestellen und am Mittwoch abholen.


Bei meinen beiden Kaninchen, die im Außengehege leben, zeigt sich das Alter. Eines der beiden wird zunehmend wackelig und könnte inzwischen einen Kaninchen-Rollator gebrauchen. Die warme Schlafzone mit Aussichtsfenster liegt etwas erhöht und ist über zwei lässige Hopser auf davor angebrachte Bretter zu erreichen. Bisher war das überhaupt kein Problem, zumal Kaninchen sowieso völlig unterschätzte, abenteuerlustige Tiere sind. Seit einiger Zeit vermeidet das inzwischen wackelige Kaninchen aber die Laufbretter und das Springen, bleibt ebenerdig und schläft in einer kleinen Strohecke. Es braucht für den Winter unbedingt eine kuschelige Bodenwohnung.

Praktischerweise habe ich noch einen hohen Kaninchenkäfig aus Holz herumstehen, von dem ich kurzentschlossen die Beine absäge und die Vordertür abschraube. Dann säge und schraube ich mir aus einem Brett eine Vorderwand zusammen, die kleine runde Aussichtsfenster hat, die ich mit Plastik schließe. Fertig ist eine windgeschützte, warme Schlafhöhle.

Die neugierigen Kaninchen sehen mir beim Festschrauben zu, stehen ständig im Weg und hängen mit Pfoten und Nasen im Arbeitsbereich herum. Wenn ich den Akkuschrauber seitlich ablege, sitzt garantiert gerade ein Kaninchen darunter. Kaum gebe ich Stroh in den Stall, hoppeln sie rein und gucken sich um. Die neue Wohnung geht klar.


Am Mittwoch fahre ich früh zu meinem Vater und mache vorher eine Kurve zum Hausarzt, wo ich die Verordnung abhole. Gegenüber der Praxis liegt die andere Filiale des Sanitätshauses. Das ist praktisch. „Guten Tag“, sage ich und lege die Verordnung auf die Theke. „Ich brauche einen Toilettenrollstuhl, den ich auch in die Dusche schieben kann.“ „Den kann ich Ihnen sofort bestellen“, sagt die Verkäuferin freundlich. Ich frage: „Kann ich mir den mal ansehen?“, was nicht geht, weil das sonst vorhandene Modell anscheinend verkauft wurde. Einen Katalog gibt es auch hier nicht. Ich finde es sehr unbefriedigend, dass ich nehmen muss, was das Sanitätshaus liefert, ohne es vorher wenigstens mal angesehen zu haben. „Ist das so ein weißer?“, frage ich in Erinnerung an das Modell auf der Internetseite in der anderen Filiale. „Nein, ich meine den regulären. Der Weiße hat eine ziemlich hohe Zuzahlung“, sagt die Verkäuferin, öffnet mir umständlich die Internetseite der Firma und zeigt mir einen dunklen Stuhl. „Der ist zwar aus Metall und Sie können die Armlehnen nicht umklappen, aber er kann unter die Dusche. Er ist auch etwas kleiner und wendiger als der weiße.“ Ach, es gibt also doch ein Modell ohne Zuzahlung! Hatten die Leute in der anderen Filiale davon keine Ahnung, wollten sie mir die Zuzahlung anhängen oder weiß die Verkäuferin in dieser Filiale nicht, dass das ausgerechnet das Metall des regulären Modell vielleicht überhaupt kein Wasser verträgt? Egal. Ich nehme das Standard-Modell ohne Zuzahlung und werde meine Erfahrungen machen. Puh! Was geht bei solchen anscheinend ganz einfachen Aktionen immer Zeit und Energie drauf!

Das Wetter ist gut und bei meinem Vater lichte ich den Vorgarten aus. Drei Säcke Grünzeugs werden voll. Jetzt müsste noch der Boden gehackt und vom Unkraut befreit werden, aber das ist mir für heute zu anstrengend.

Stattdessen hole ich aber noch das Unkraut aus einem kleinen Gartenweg. Die Steine habe ich in den letzten fünf Jahren auf Wunsch meines Vaters schon zwei Mal komplett aus dem Boden geholt, sorgsam gereinigt und mit teurer Spezial-Unkrautfrei-Fugenmasse wieder eingesetzt. „Dass da dann kein Unkraut mehr wächst, ist Quatsch, Papa!“, habe ich behauptet. „Guck mal, es steht sogar auf der Packung, dass du trotzdem regelmäßig die Spalten saubermachen musst!“ „Wenn man es richtig macht, dann nicht!“, sagte mein Vater, woraufhin ich kein Argument mehr hatte. Aber das bedeutet jetzt wohl, dass ich schon zwei Mal beim Verfugen schwerwiegende Fehler gemacht haben muss.

Kaum bin ich fertig – drei Stunden lang Büsche schneiden und Unkraut aus Ritzen holen ist ganz schön anstrengend -, sagt mein Vater: „Du kannst auch noch an der Mauer die langen Äste wegschneiden.“ Damit ist der wilde Wein gemeint, den ich vor drei Wochen auf seine Bitte hin ordentlich ausgelichtet und beschnitten habe. Ich wende ein: „Wenn ich die dicken Äste jetzt abschneide, ist der Wein komplett von der Mauer weg.“ „Das macht nichts, der wächst schon wieder.“ Tja, das hätte ich vor drei Wochen wissen müssen, dann hätte ich einfach in einem Rutsch alles abgeschnitten. Weil die Biotonne und alle drei Gartensäcke aber schon voll sind – und ich auch überhaupt keine Lust mehr habe – verschiebe ich das Entfernen des wilden Weins auf demnächst.

Es gibt noch den üblichen Wocheneinkauf mit der Pflegekraft, außerdem Post, Anrufe, Mails und Whatssapp-Nachrichten durchsehen, Konto abrechnen, zum Getränkemarkt und zum Baumarkt fahren, dies und das – bis ich nach neun Stunden wieder nach Hause fahre. Puh. Müde.


An den Tagen zuhause bereite ich weiter die Seiten für die neu angelegte reihedrei-Homepage vor. Ich würde sie gerne noch in diesem Jahr freischalten können, was angesichts des großen Inhaltes aber gar nicht mehr viel Zeit ist. Allein 115 Seiten bereite ich für die alten Berichte über Wise Guys Konzerte vor. Dabei sehe ich, dass ich die ersten kurzen Konzertberichte vor 24 Jahren geschrieben habe. 24 Jahre! Das ist so lange her, denke ich, dass jetzt auch wieder sehr frühe Beiträge und Illustrationen passen würden. Aus der Zeit als alles begann und noch niemand wusste, wohin es führt. Wenn schon historisch, dann richtig. Mal sehen, was ich da noch finde.


Auch wenn die Blätter an den Bäumen jetzt doch langsam gelb werden, ist es immer noch ungewöhnlich grün und dicht belaubt für Mitte Oktober. An vielen Pflanzen kommen nochmal Blüten und auch der Schmetterlingsflieder treibt munter aus. Willkommenes Futter für einige Bienen und einen großen Admiral. Als wäre es Sommer.


Am Samstag sind wir zur Party eingeladen, bei der wir die Gastgeber und nur wenige der Gäste kennen. Immerhin drei. Zum Glück sind das genau die, die wir gut kennen, die wir sehr mögen und mit denen wir uns sofort plaudernd um einen Tisch stellen, den wir „Theatertisch“ nennen könnten. Als Musik beginnt und Gäste zur Tanzfläche eilen und sich dort tänzerisch bewegen, habe ich die erschreckende Erkenntnis, dass ich auf einer Senioren-Party gelandet bin, für die ich mich noch gar nicht bereit fühle, vom Alter her aber passe. Der etwas steife, zurückhaltende Tanzstil einiger Tanzenden weist deutlich auf Hüft-, Knie- und Rückenprobleme hin. Tippen mit den Füßen vor und zurück oder Bewegungen, die überhaupt nicht im Takt der Musik sind, eher auf mangelndes Talent. Egal, darum geht es nicht. Es gibt auch einige gute Tänzerinnen und Tänzer. Alle haben Spaß, keine Frage, aber vom Gefühl her sehe ich der Generation über mir bei einer Party zu und bin deutlich jünger. Vom Gefühl her. Für Außenstehende passe ich vermutlich genau dazu. Erschreckend. Als ich gerade denke, dass ich beim nächsten Lied auch auf die Tanzfläche gehen werde, beginnt Karnevalsmusik. Oh, nee, dann nicht.

Auf dem Nachhauseweg fällt mir auf, dass ich sonst meistens in altersmäßig stark gemischten Gruppen unterwegs bin. Erst eine Party mit vorwiegend Leuten, die ungefähr in meinem Jahrgang sind und von denen sich viele altersentsprechend kleiden, zeigt, dass es auch für mich zur gemütlichen, nachmittäglichen Senioren-Rheinschifffahrt bei Kaffee und Kuchen wohl nicht mehr weit ist.