Blog 862 – 03.11.2024 – Übermotivation, Erinnerungen und schwarze Magie
Boah, was für eine Energie ich wieder habe! Ich merke erst jetzt, wie sehr ich runtergeschaltet hatte, um im „Funktionieren“-Modus durch die letzten zwei Monate nach dem Schlaganfall meines Vaters zu kommen. Atmen, organisieren, telefonieren, rumfahren und die Sachen auf der To-do-Liste erledigen waren die Hauptsachen und mehr ging auch nicht. Jetzt läuft bei meinem Vater alles recht gut, ich habe mein eigenes Leben zum Großteil wieder und werde sofort übermotiviert und überaktiv. Die Tage erscheinen mir trotz weniger Muss-Termine viel zu kurz. Ich habe das Gefühl, die Energie britzelt sichtbar aus mir heraus. Na, das wird sich schon wieder auf ein Normalmaß einpendeln, aber jetzt genieße ich es erstmal.
Dass ich einen kleinen Zeichenauftrag habe, passt gerade gut. Kein Stress im Hinterkopf, Ruhe, Radio, meine Farben und ein Tee – wunderbar. Ich zeichne gerne und viel zu selten, merke ich dann immer.
Bei der Erneuerung der Homepage geht es zügig weiter. Ein Großteil der vielen Konzertberichte ist schon übertragen, jetzt sind die speziellen Wise Guys Seiten dran. Ich wühle mich durch Fotos von Kreativblocks und Soundchecks. Die Situationen und Gesichter sind mir so vertraut, dass ich gefühlt immer sofort wieder drin bin. Ich spüre noch die Atmosphäre und habe das Gefühl, ich könnte in die Situation reingehen und genau dort weitermachen. Dann gucke ich auf das Datum und sehe, dass es unglaublich lange her ist.
Ein bisschen fühle ich mich wie eine Hundertjährige im Altersheim, die von längst vergangenen Sachen erzählt als wären sie aktuell. In mir selber sind viele der Situationen aber noch sehr präsent. Ich mag das, und ich mache Fotos und Berichte ja vor allem, um zu erinnern und Situationen zu bewahren. Ob ich die Homepage hundertjährig im Altersheim noch ergänze, bleibt abzuwarten. Vermutlich wird sie irgendwann vorher gelöscht und es verschwindet alles in den endlosen Weiten der verblassten Sätze und Bilder. Aber halt! – Noch bin ich nicht hundert.
Am Mittwochmorgen fahre ich auf dem Weg zu meinem Vater kurzentschlossen beim Sanitätshaus vorbei. Dort habe ich vor zwei Wochen einen Rollstuhl bestellt und immer noch keinen Anruf wegen der Abholung bekommen. Schon beim Reingehen sehe ich im Laden einen Rollstuhl mit Zettel an der Lehne stehen. „Ja, der ist da“, antwortet die Verkäuferin auf meine Frage, zeigt auf den Rollstuhl und sagt in vorwurfsvollem Ton: „Gut, dass Sie kommen. Wir versuchen seit zwei Wochen ständig, Sie zu erreichen.“ Ich sehe mir kurz die Telefonnummer auf dem angehängten Zettel an – sie ist korrekt. Dann hole ich mein Handy aus der Tasche und sage, vermutlich mit deutlich dampfendem Unterton: „Ich habe mein Handy immer dabei. Da müsste ich dann ja verpasste Anrufe angezeigt bekommen.“ Noch während ich auf meinem Handy tippe, winkt die Verkäuferin schnell ab: „Das müssen wir ja nun nicht mehr diskutieren!“ Ah ja. Wohl doch nicht ständig angerufen. Ich unterschreibe alles zum Empfang des Rollstuhls, verabschiede mich freundlich-höflich, schiebe den Stuhl vor mir her aus dem Laden und denke draußen: „Saftladen!!“ Mit zwei Ausrufezeichen. Dann wundere ich mich, wieso ich „Saftladen“ sage. Woher habe ich das Wort denn plötzlich im Kopf, das gehört doch sonst nicht zu meinem Wortschatz. Vielleicht nur in Sanitärgeschäften, die zum wiederholten Male nicht ordentlich arbeiten.
Am Nachmittag fahre ich zum Friedhof, um auf dem Grab meiner Großeltern das Herbstlaub zu entfernen und ein bisschen Buntes zu pflanzen. Auch so eine Arbeit, die ich vor einigen Jahren auf einmal hatte, weil meine Eltern es nicht mehr machen konnten. Zum Glück haben sie es vor vielen Jahren pflegeleicht bepflanzt und ich muss meist nur ein wenig aufräumen und durchfegen.
Als ich ein kleines Loch für eine der Pflanzen graben will, stoße ich kurz unter der Oberfläche auf einen schmalen, viereckigen Gegenstand. Nanu? Es ist ein aufklappbarer Spiegel, in den Papiere eingeklappt sind. Stücke aus Farbkopien, auf denen ein Gesicht, eine Pik-Dame-Karte und zwei Ausschnitte aus Tarotkarten zu sehen sind. Den kleinen Spiegel hat niemand zufällig an dieser Stelle verloren, der wurde bewusst in die Erde gesteckt.
So was finde ich ja immer interessant. Wer steht auf schwarze Magie, Flüche und mittelalterlichen Schadenzauber, bastelt sich – mithilfe des Farbdruckers – ein Verwünschungsset und buddelt es – womöglich noch bei Vollmond – auf dem Friedhof in ein fremdes Grab? Glaubt der- oder diejenige tatsächlich, dass das klappt? Was sind das für Leute, die an Beschwörungskram glauben? Hach, der Welt fehlt Bildung, Wissenschaft und klarer Verstand. Leider werde ich nie erfahren, ob das Verwünschungsset nach geltendem Aberglaubenrecht irgendwann wieder ausgebuddelt werden muss und sein völliges Verschwinden, weil ich es jetzt unsachgemäß entfernt habe, einen Schock auslösen wird. Oder Freude? Ich bin zu wenig drin in der Verhexungs-Materie. Ich kann das alles sogar ungerührt in den Müll werfen.
Bis zum Ende der Woche habe ich so viele Stunden sitzend vor dem Rechner mit der Arbeit an der neuen Homepage verbracht, dass ich mich ganz steifgesessen fühle. Es ist trotzdem ein gutes Gefühl. Also nicht im Rücken, aber innerlich, denn das geplante Veröffentlichungsdatum kann ich von „hoffentlich noch Ende das Jahres“ auf „Mitte oder Anfang Dezember“ vorziehen. Wenn es in diesem Arbeitstempo weiterginge, wäre ich in zwei Wochen fertig, aber so häufig und lange will ich jetzt erstmal nicht weiter am Rechner sitzen.