Blog 863 – 10.11.2024 – Scherennudeln, Blödheit und Klassentreffen
Die Woche beginnt mit schöner Post. Die DVD von Maybebop kommt an, die ich bei einer Crowdfunding-Aktion mitunterstützt habe. Ich mag es ja sehr, wenn Künstler auf diese Weise genug Geld bekommen, um ihre Projekte eigenständig und selbstbestimmt produzieren zu können.
Im Internet sehe ich ein Gericht mit „Scherennudeln“, die im Teig Kürbispüree haben. Scherennudeln sind, wie ich nachlese, in der asiatischen Küche recht üblich. Der Teig wird nur aus Mehl, Wasser und Salz gemacht und mit einer Schere werden dann kleine Ecken in kochendes Salzwasser geschnitten. Weil ich alles für das Rezept im Haus habe, lege ich spontan los. Die Kürbiswürfel sind schnell weichgekocht und püriert, ich knete Mehl, Salz und hier nach Rezept auch ein Schuss Milch dazu und schneide mit der Schere kleine Streifen ab.
Während die Nudeln acht Minuten kochen, brate ich Minikürbisstückchen, Knoblauch, Chili und Salbeiblätterstreifen in Öl an, gebe etwas Butter dazu, schütte dann die Nudeln ab und gebe sie in die Pfanne. Etwas Petersilie drauf – fertig.
Ich bin überrascht, wie gut sie schmecken. Sie sind etwas dicker und teigiger als italienische Pasta, aber weich und gut zu essen. Lecker. Und so schnell und einfach gemacht. Das probiere ich demnächst mal in der puren Variante ohne Kürbis und mit asiatischem Soja-Ingwer-Chili-Frühlingszwiebel-Geschmack.
Am Mittwochmorgen sind die Wahlergebnisse aus Amerika da und ich kann es nicht fassen. Die Amerikaner, früher die Vertreter von Freiheit und Demokratie, wählen Freiheit und Demokratie ab. Sie wählen einen Präsidenten, der für versteckt getragene, geladene Waffen plädiert, gegen sexuelle Freiheit, gegen Pressefreiheit und gegen Einwanderung ist, den Klimawandel leugnet, keine Ahnung von Weltpolitik hat und seine politischen Gegner am liebsten sofort verhaften lassen würde. Und es ist nicht so, dass den Amerikanern der Weg in die Autokratie aufgezwungen wurde, sie wählen ihn selber. Es ist nicht zu fassen, wie sehr die Dummheit inzwischen um sich greift. Amerika wird ein enges, konservatives Land werden, in dem ein dummer, hasserfüllter Präsident und einige seiner reichen Gefolgsleute bestimmen, was Recht und Gesetz im Land ist und sich selber nicht an Gesetze halten müssen. Es wird neue Richter geben, neue Gesetze, kritische Stimmen werden eingeschüchtert, die Demokratie wird ausgehebelt.
Nach ersten Auswertungen der Wahl zeigt sich, dass Trump nicht – wie es zuerst aussah – von der großen Mehrheit der Amerikaner gewählt wurde. Er hat sogar weniger Stimmen im Vergleich zu seiner letzten Wahl. Das Problem ist, dass die meisten anderen, die Kamala Harris hätten wählen können, nicht zur Wahl gegangen sind. Warum nicht? War es ihnen egal? Wer nicht wählen geht, bekommt das, was die anderen wählen. Damit haben auch die Nichtwähler Trump ganz nach vorne gebracht. Dass es nach Umfragen viele Männer gab, die zwar Trump nicht gut fanden, es aber schlimmer fänden, wenn eine Frau Präsidentin würde, ist erschreckendes Mittelalter. Ich weiß jetzt schon, dass in wenigen Jahren viele der Trump-Wähler, denen es dann deutlich schlechter als jetzt gehen wird, sagen werden: „Das hat man doch nicht wissen können!“ – Doch!
Der Ausgang der Wahl geht mir so an die Nerven, dass ich an diesem Tag alle Nachrichtensendungen vermeide. Ach, Amerika, was hast du gemacht? Zum ersten Mal bin ich froh, dass ich den ganzen Tag bei meinem Vater bin, wo ich zu tun habe und abgelenkt bin. Es ist anstrengend, ich bin müde, aber ich kann mich währenddessen von allen Nachrichten fernhalten. Als ich in leichtem Nieselregen den Mähroboter auf den Rücken lege und für den Winterschlaf vorsäubere, finde ich, dass das ein schönerer Anblick ist, als das triumphierende, orangefarbene Gesicht des dummen und gefährlichen Wahlsiegers.
Am nächsten Tag kracht es auch in Deutschland. Scholz wirft FDP-Lindner raus, was ich gut finde, denn der war in seinem Profilierungs- und Reingrätschwahn nicht mehr für Verständigung und gemeinsame politische Lösungen fähig. Das Scheitern der Ampel hat nicht nur, aber viel mit Lindner zu tun. Anscheinend geht Scholz in seiner Selbstwahrnehmung aber jetzt davon aus, dass er beliebt ist und damit weiter der einzig mögliche Bundeskanzler bleibt. Er scheint auch zu glauben, dass CDU-Merz jetzt mit ihm an gemeinsamen Lösungen arbeiten wird. Häh? Merz will so schnell wie möglich selber an den Posten kommen und hat kein Interesse, dass die Umfragewerte von Scholz vielleicht wieder hochgehen könnten. Als ich dann noch höre, dass Merz erwägt, Lindner wieder als Finanzminister einzusetzen, weiß ich, dass die Blödheit nicht nur bei vielen Wählern umgeht. Am besten vermeide ich auch hier erstmal die Nachrichten, um vom vielen Kopfschütteln keine Nackenprobleme zu bekommen.
In jeder freien Zeit sitze ich sowieso am Computer und arbeite an der neuen Homepage. Ich schaffe Bericht für Bericht, übertrage Foto für Foto, und komme schneller voran als gedacht. Mal sehen, ob ich noch eine Suchfunktion einbauen kann, für die ich dann aber noch alle Berichte mit den passenden Suchbegriffen versehen muss. Die werde ich zuerst aber testen müssen, ob sie auch so funktioniert, wie ich sie haben möchte. Der angedachte Veröffentlichungstermin der Seite rückt aber inzwischen schon auf Anfang Dezember.
Am Samstag ist mein Vater zu einer Feier mit Mittagessen im Restaurant eingeladen. Es ist geplant, dass ich ihn zusammen mit seiner Pflegekraft hinfahre und die beiden später wieder abhole und nach Hause bringe. Kurz vorher sagt Aleksandra aber, dass sie es lieber hätte, wenn sie nicht mitfährt und ich stattdessen meinen Vater begleite. Sie kennt wenig Leute auf der Feier und ich merke, dass es ihr unangenehm ist. Da ich sowieso den Hin- und Rückweg mache und viele der Anwesenden kenne, kann ich für die Zeit dazwischen auch einfach dableiben. Kein Problem.
Es gibt ausgiebiges Begrüßen, Händeschütteln und Umarmen, leckeres Mittagessen und viel zu reden. Doch nach zwei Stunden ist mein Vater plötzlich müde und es wird ihm zu viel. Es hat ihm gefallen, aber die Kondition ist weg. Ich packe ihn wieder ein und bringe ihn nach Hause.
Von dort aus fahre ich zu meinem eigenen Zuhause, lege mich eine Stunde hin, trinke eine Tasse Kaffee und fahre wieder zurück zum Wohnort meines Vaters. Dort ist – nicht bei ihm, sondern in einer Gaststätte – das Klassentreffen meiner Stufe. Es kommen nicht alle früheren Mitschülerinnen und Mitschüler, aber immerhin 60 haben sich angemeldet. Ich suche etwas länger nach einem Parkplatz und stehe etwa 15 Minuten nach dem offiziellen Beginn vor der Tür zum Gastraum. Vermutlich sind erst fünf Leute da, es ist ja noch früh, denke ich. Ein unglaublicher Lärm dringt durch die Tür. Feiern da irgendwelche Fans ein Fußballspiel? Vielleicht haben wir unser Treffen in einem Nebenraum? Ich öffne vorsichtig die Tür und sehe sofort vertraute Gesichter. Natürlich auch fremde, bei denen sich erst auf den zweiten Blick oder beim Nachfragen herausstellt, wer das ist.
Es wird ein sehr schöner Abend mit vielen Gesprächen, Gelächter und einer sofort wieder vertraut lockeren Atmosphäre. Selbst mit Mitschülern, mit denen man damals gar nicht viel zu tun hatte, kann man sich gut unterhalten und hat Gemeinsamkeiten. Sehr schön. Als plötzlich die Idee für ein Gruppenfoto aufkommt, drängen sich sechzig Leute in einen Pulk und der Wirt steigt auf einen Stuhl, um im schlecht beleuchteten Raum mit dem Handy ein Foto zu machen. Dazu muss er die seitlichen Flügel der Menge näher zur Mitte drängen, so dass alle noch dichter steht und vermutlich viele Gesichter hinter den Köpfen der vor ihnen Stehenden verschwinden. Egal. Großer Spaß. Ich bin gespannt auf das Foto.
Um 1:30 Uhr bröselt das Treffen nach mehr als sieben Stunden recht zügig weg. Wir sind gut gelaunt. Ich bin heiser vom vielen Reden im laut schallenden Raum, was aber nicht nur bei mir so ist. Der Wirt wirkt müde und beginnt die Tische abzuwischen. Das damals funkelnagelneue moderne Schulgebäude aus Beton, in dem wir im fünften Schuljahr begannen, ist in diesem Sommer wegen Asbestbelastung komplett abgerissen worden. Wir haben länger durchgehalten als unsere Schule.