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Blog 871 – 05.01.2025 – Entspannung, Geknalle, Hall und Bockspringen

Das alte Jahr endet bei mir so, wie das neue beginnt: Nichts los. Das ist wunderbar. Einer der Söhne ist schon wieder weg, der andere noch da, und wir gucken zusammen Serien, spielen Dominion, kochen, essen und erholen uns.

Zwischendurch bin ich bei meinem Vater, denn der macht keine Pause. Ich kaufe ein, erledige Sachen und schreibe neue Einträge auf die To-do-Liste: Hausarzt-, Herzkontroll-, Zahnarzt- und Herzschrittmacherkontrolltermin. Das bedeutet, dass ich vier Mal mit meinem Vater im Rollstuhl unterwegs sein werde, was jedes Mal mindestens einen halben Tag kostet. Es ist ja nicht nur die Zeit, die mir weggeht, es kostet auch viel Energie, weil er schnell müde wird, nicht immer sofort einsieht, was nötig ist und zunehmend Hilfe braucht. Schon im Alltag ginge es ohne die Betreuungskraft gar nicht. Aber die ist für die Betreuung meines Vaters und die üblichen Hausarbeiten zuständig. Alles andere – die Teilnahme an Geburtstagsfeiern und Beerdigungen, Arztbesuche, Friseur, Gartenarbeit, defekte Feuermelder, nicht auffindbare und zu suchende Fotos, Finanzen, Behördenkram, Krankenkassenkommunikation und ständige Rufbereitschaft … bleibt übrig. Ich frage mich, wie ich das machen könnte, wenn ich eine volle Arbeitsstelle und einen Arbeitgeber hätte. Jede Woche einen Tag komplett frei nehmen und zwischendurch immer wieder halbe Tage?


So gemütlich unser eigener Silvesterabend auch ist, die Böllerei nervt mich zunehmend. Schon Stunden vorher zünden Idioten immer wieder laute Böller, manchmal ganze Batterien. Meine Katze sitzt angespannt im Flur und ist auf Fluchtmodus, die Kaninchen im Freigehege sitzen verschreckt in der Ecke und ich frage mich, was die – im Regelfall Männer – mit dem überlauten Krachmachen und der hirnlosen Selbstdarstellung an eigenen Unzulänglichkeiten ausgleichen wollen. Böllern bringt nur Stress und Dreck. Für alle Unbeteiligten ist das nur belästigend, wie wenn jemand mit aufgedrehtem Motor auf einem Motorrad durch ein Wohngebiet rast. Sinn- und hirnlos. Und wenn dann auch noch Idioten mit Böllern und Raketen auf andere Leute zielen und Rettungspersonal und die Polizei angreifen, ist es doch an der Zeit, über ein komplettes Böllerverbot nachzudenken. Ich bin dafür.

Um Mitternacht kommen die Feuerwerkraketen hinzu, die wenigstens optisch etwas zu bieten haben, die mich seit den letzten Jahren aber auch nicht mehr interessieren. Ein kurzer Blick – oh, schön – und es reicht. Ich war nie ein großer Feuerwerk-Fan, und inzwischen sehe ich mehr die Feinstaubbelastung und den Müll und könnte komplett darauf verzichten. Was da für ein Geld verbrannt und Müll hinterlassen wird. Als ich zur Kontrolle kurz zu den Kaninchen rausgehe – einige Funken könnten das Stroh im Gehege entzünden – knallt und zischt es um mich herum, Silvestergeschosse fliegen pfeifend über den Garten, helle Lichter flammen auf und die Luft ist rauchig vor Schwefel. Einer der Nachbarn knallt auf der Straße ein Ding nach dem anderen weg und die Rauchschwaden wabern wie dicker Nebel. Ich weiß, es ist alles nur Silvesterfeuerwerk, aber es fühlt sich bedrohlich an. „Die spinnen alle!“, denke ich und gehe wieder rein.


Am Ende der gemütlichen Woche begleite ich meinen Vater zu einer Beerdigung. Wir sitzen eine Stunde lang in einer kühlen Kirche und ich fühle mich wie in einem Mr.-Bean-Sketch. Die Kirche ist groß und hat einen mächtigen Hall und auf meinem Platz im Seitenschiff ist kaum etwas zu verstehen. Der Pfarrer spricht würdevoll und ich höre: „Wir-ir-ir schweng baaau mei-ei-ei wung dam-m-m. Doch-och-och weng schwumm doobi waaaaauh.“ Eine Stunde lang höre ich waberndem Hall zu und finde das schon wieder lustig – zumindest in der ersten Viertelstunde, dann wird es doch etwas lang. Dass zwischendurch die Orgel ein Kirchenlied begleitet und die Gemeinde etwas schleppend mitsingt, ist normal, aber dass der Pfarrer über sein Mikrofon ebenfalls laut mitsingt, dabei im Tempo aber noch hinter der Gemeinde bleibt, ist für mich neu. Ich habe den Drang, ihn anzutreiben und werde beim Zuhören ganz hibbelig. Es kann doch nicht sein, dass bei jeder Zeile erst die Orgel, dann die Gemeinde und schließlich der Pfarrer den Endton erreicht. Auch beim Singen ist bei mir im mehr als halligen Seitenschiff nichts zu verstehen und es kommt nur schwummriges Gewaber an. Es könnte ein seltsamer Film sein, in den ich geraten bin. Ich bin froh, als die Messe vorbei ist. Auch ohne Hall – Kirche und ich, das wird nichts mehr.

Im Anschluss an die Beerdigung gibt es noch Kaffee und Brötchen in einem Restaurant. Da treffe ich unseren Nachbarsjungen wieder, den ich das letzte Mal bewusst gesehen habe, als er etwa 12 Jahre alt war und ich 14, und der jetzt ganz anders aussieht und sehr cool ist. Und außerdem einen Freund aus frühen Tagen, den ich auf der Straße nicht sofort erkannt hätte, mit dem es beim Unterhalten aber gleich wieder ein vertrautes Gefühl gibt. Ich frage ihn: „Boah, wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen? Vierzig Jahre?“ Er sagt: „Ich sehe dich öfter.“ „Häh? Wo?“, frage ich verwundert. „Wenn ich beim Haus deines Vaters vorbeifahre und du im Vorgarten arbeitest.“ „Warum winkst du dann nicht?“, frage ich, setze aber gleich hinterher: „Ach, nee, ich hätte dich ja gar nicht erkannt.“ Ab jetzt aber.


Am nächsten Tag fahren der Gatte und ich mit dem Sohn nach Frankfurt, um ihn zurückzubringen. Seine Urlaubstage sind vorbei und er ist erholt. Wir gehen in unserem Lieblingsimbiss essen, dem Balkan-Haus, in dem es immer frische, leckere Sachen gibt. Vom Fladen-Börek über Cevapcici bis zum Flammkuchen. Der Balkan ist ein weites Gebiet. Ich bin immer noch im entspannten Ferienmodus und denke erst am Ende des Essens an ein Foto.

In der Nähe gibt es ein gutbürgerliches Restaurant, das eine alte Fassade hat. Die finde ich immer schön, aber zum ersten Mal fällt mir auf, dass über dem Eingang der „Niederräder Turngesellschaft“ ein Turner aus Stein gehauen ist, der über einen Bock springt.

Das erscheint mir als schönes Symbol für das Jahr 2025. Anlauf nehmen und mit Schwung über alle Hindernisse hinwegspringen.