Blog 876 – 09.02.2025 – Dirndl, Durchschnittsbürger und Rosenkohlzitronen
Am Sonntag trage ich Dirndl, weil das die Bekleidung für meine Rolle im privaten Krimidinner ist. Erstaunlicherweise passt ein Dirndl samt Hochsteckfrisur so geschmeidig zu mir, als sei ich im realen Leben die zünftige Wirtin eines bayerischen Gasthauses. Sollte ich jemals untertauchen und meine Spuren verwischen müssen, sollte ich das im Dirndl und unter dem Namen Zenzi Huber oder Magdalena Mooshammer irgendwo in Hinterbayern machen. Solange ich nicht rede, merkt das niemand.


Aber – nee, ich wähle dann doch Gummistiefel, gelbe Öljacke und den Namen Wiebke Jensen und gehe nach Norddeutschland. Länder, die aus Prinzip keine Windräder haben wollen, passen mir nicht.
Noch immer gucke ich mich während des Abwaschens durch die alten Dallas-Staffeln. Eine Szene in Staffel 6, Folge 14 hat unerwartet aktuellen Bezug: J.R. Ewing hat riesige Mengen Öl gekauft und überall in Texas Billigtankstellen eröffnet, weil er mit einem seiner üblen Pläne selber sehr reich werden und die Konkurrenz vernichtet will. Er wird in einem Fernsehstudio zu dem preiswerten Benzin befragt und lügt: „Ich bin Texaner und ich kann es absolut nicht leiden, wenn mir vom Ausland die Preise vorgeschrieben werden. Also bin ich ausgestiegen und habe gesagt: Jetzt reicht’s.“

Ein Fahrer, der gerade bei Cliff Barnes Essen ausliefert und dabei auf den Bildschirm guckt, grinst begeistert. „Das ist J.R. Ewing! Ich sage Ihnen, wenn der als Präsident kandidieren würde, ich würde ihn wählen.“ Er dreht sich um und geht raus, während Cliff Barnes ihm fassungslos hinterherguckt und kopfschüttelnd sagt: „So viel zur Intelligenz des Durchschnittbürgers.“ – Das war 1983, vor mehr als 40 Jahren! Aber genau solche „intelligenten“ Durchschnittsbürger wählen heute Trump und die AfD, ohne zu hinterfragen, was die wirklich wollen. Tragischerweise wollen Trump und die AfD die Demokratie abschaffen, um ungestört nach eigenem Ermessen alleine regieren zu können, während J.R. nur reich und mächtig werden wollte.
Beim Einkaufen im Supermarkt stehen die Beschilderungen falsch. An den Kohlrabi steht „Möhren“, an den Gurken „Rotkohl“ und an den Paprika „Weißkohl“. Die Rosenkohl-Zitronen gefallen mir besonders gut, weil sie rundlich sind, im Netz liegen und nur die Farbe nicht stimmt. OK, sie sind auch ungewöhlich groß für Rosenkohl.

Erst denke ich an den 1. April, dann, dass die Verkäuferinnen und Verkäufer gerade erst umgeräumt haben und jetzt noch die Schilder ändern. Aber nein. Sie laufen herum, sind beschäftigt und verhalten sich, als wäre alles in Ordnung, was es besonders witzig macht. Ich brauche Zitronen und habe nun keine Ahnung, was sie kosten, weil ich nur den Rosenkohlpreis kenne. Das wäre ja was, wenn auf dem Kassenzettel plötzlich 8,99 stehen würde, weil das ein Plan des Supermarktes ist, um mit falschen Angaben reich zu werden. Oh je, ich habe einen Anflug von Verschwörungstheorie! Schnell wieder das Hirn anstellen.
Im Garten wird es Zeit, die hohen Büsche zurückzuschneiden. Im letzten Jahr war es plötzlich zu spät, denn wegen der Brutzeit hatte das Abholzverbot schon begonnen, was mich – ich erinnere mich vage – terminlich irgendwie überrascht hatte. In diesem Jahr soll das nicht passieren, denke ich und nehme mir vor, unbedingt bis zum Endtermin am 31. März fertig zu sein. Beim lässigen Blick ins Internet sehe ich, dass die Schneidezeit am letzten Februartag endet und am 1. März schon die Schutzzeit beginnt. Ah ja, genau das war der Grund, warum ich im letzten Jahr zu spät war.
Das Wetter passt gerade, der für das Wochenende geplante Besuch sagt ab, weil er selber Besuch von einem Virus bekommen hat, und ich lege im Vorgarten los. Unfassbar, was für Mengen in wenigen Stunden zusammenkommen. Die große Biotonne ist sofort voll, danach staple ich drei weitere große Hügel Astschnitt. Einen Teil davon werde ich demnächst häckseln und auf die Gartenwege streuen können. Der Rest ist dafür nicht geeignet und ich werde ihn arbeitsintensiv kleinschneiden und über die nächsten Wochen in die Biotonne geben müssen. Wenn dir langweilig ist, hol dir einen Garten.

Während des Abholzens laufe ich immer wieder über das leicht verunkrautete Stück Erde, auf dem nicht nur meine Weinreben stehen, sondern in dem auch die Tulpenzwiebeln liegen. Dabei trete ich die Oberfläche fest und verliere beim Tragen immer wieder Äste. Da ich gerade werkelnd im Garten unterwegs bin, wäre es doch gut, wenn ich dort alles in Ordnung bringe, ehe demnächst die Tulpen rauskommen, denke ich schlau. Ich hebe die Astteile weg und beginne zu jäten – und entdecke an vielen Stellen schon Tulpenspitzen. Manchmal zwei Millimeter unter der Oberfläche, an mehreren Stellen sogar schon bis zu zwei Zentimetern draußen. Ui, das ist höchste Zeit, dass ich ihnen Platz mache. Und was für ein Glück, dass ich sie nicht niedergetrampelt habe. Ich erinnere mich, dass ich auch im letzten Jahr überrascht war, wie früh die Tulpen kamen. Wieso merke ich mir sowas nicht?

Meine Situation, in der mir wegen der Betreuung meines Vaters recht viel Zeit genommen wird, entspannt sich etwas. Das liegt an der zuverlässigen polnischen Betreuung, am weitgehend gleichbleibenden Gesundheitszustand meines Vaters, aber vermutlich auch daran, dass ich die Lage seufzend akzeptiere. Ein Tag in der Woche fehlt mir komplett, manchmal sind es zwei und beinahe täglich ist etwas zu organisieren, zu telefonieren oder zu erledigen. Auch die fast ständige Rufbereitschaft ist für mich belastend, weil gerade ich immer wieder längere Zeiten fürs Allein- und Ungestörtsein brauche. Aber so langsam passe ich mich der Lage an und versuche, zumindest Freiräume zu finden. Wenn ich die Erwartungen runterschraube, wirkt das, was vorher viel zu wenig erschien, auf einmal doch noch ganz OK.
In der nächsten Woche werde ich nach Berlin fahren. Auch so ein Zeichen, dass mein Leben normaler wird. Ich habe keine Rückmeldung, ob ich tatsächlich auf der Besucherliste der dort stattfindenden Kinoveranstaltung stehe – wer nicht draufsteht, kommt nicht rein -, bin aber optimistisch. Wird schon klappen. Ansonsten werden es zwei Tage Berlin ohne Kinobesuch. Auch schön.