Blog

Blog 773 – 19.02.2023 – Dodo, Zeche, Holzdecke, Mittelalter und viel Energie

Am Sonntag bin ich zur 10-Uhr-Vorstellung im Dortmunder Konzerthaus. Ein Familienkonzert steht auf dem Programm, dementsprechend sind etwa zwei Drittel der Besucher unter zehn Jahren alt. Die Hälfte davon sogar unter sechs, würde ich schätzen. Neben mir sitzt ein freundlicher Fünfjähriger, der vor Beginn des Konzertes die stimmenden und kurze Passagen spielenden Musikerinnen und Musiker beobachtet und dann seine Mutter etwas besorgt fragt: „Spielen die jetzt die ganze Zeit durcheinander?“ Kurz danach ruft er begeistert: „Eine Riesen-Geige!“ Seine Mutter erklärt: „Das ist ein Kontrabass.“

Ich komme aber weder wegen der Musik noch wegen der Kinder, sondern wegen „Dodo“. Der ist das neue Maskottchen eines Dortmunder Musikprojektes, den Bodo Schulte als Klappmaulpuppe gebaut hat und den er auch spielt. Der Dodo wird von einer „Musikvermittlerin“ befragt und erzählt, dass er schon dreihundert Jahre alt ist und bei seinen Reisen durch die Welt und die Zeit die unterschiedlichsten Musikstücke gehört hat. Die Dortmunder Philharmoniker spielen passend kurze Stück von Mozart, Händel, auch die „Morgenstimmung“ von Grieg und am Ende sogar ein furioses „Pirates of the Caribbean“-Medley.

Es ist schön und kurzweilig gemacht, der lustige Dodo mit seinen auch mal frechen Bemerkungen macht nicht nur den Kindern Spaß. Ich gucke natürlich auch mit aufmerksamen Spielerinnen-Augen zu. Nach der Reaktion der Kinder – und auch nach meiner Meinung – hätte glatt noch ein Musikstück gestrichen werden können, um mehr Dodo zu haben. Aber ist ja Klassik-Musik-Konzert, nicht Puppentheater.

Gleich danach fahre ich „umme Ecke“ zur Zeche Zollern. Dortmund ist Bergbaugebiet und ich habe mir noch nie eine Zeche angesehen. Dabei kommt die väterliche Familie aus Gelsenkirchen und Umgebung und viele der Männer haben im Bergbau gearbeitet. Als Kind war für mich selbstverständlich, dass von verwandten Leuten geredet wurden, die „unter Tage fahren“ oder auch „Staublunge“ haben.

Ich mache in der Museums-Zeche zwei Führungen mit, die sehr interessant und noch viel informativer sind, als ich es mir alleine beim Besichtigen der Ausstellung hätte anlesen können. In einem nachgebauten Stollen mit typischen Geräuschen und einem speziellen Unter-Tage-Geruch wird sehr anschaulich nahegebracht, wie die Bergleute tief in der Erde gearbeitet haben. Was für ein extrem anstrengender Knochenjob!

Nach den Führungen gucke ich mich noch auf dem großen Gelände und in mehreren Themenausstellungen um. Das lohnt sich wirklich.

Einer der Fördertürme ist zu begehen und ich steige über außenliegende Metallgittertreppen hoch. Wegen fehlender Kondition muss ich etwas pusten, bin aber sehr stolz. Ich hatte mal Höhenangst. Als Kind nicht, aber irgendwann war sie da, ohne dass ich einen Grund dafür kenne. Metallgittertreppen waren der Horror. Leute ohne Höhenangst können das gar nicht nachvollziehen. Mit Höhenangst fühlt man sich auf einer luftigen Treppe ungefähr so sicher, wie mit zwei eingeschlafenen Beinen jetzt sofort über einen Schwebebalken laufen zu müssen. Da hilft auch der gute Wille und das Zusammenreißen nicht. Den zitternden Knien und unzuverlässig weichen Beinen, die jeden Moment unkontrolliert zur Seite klappen können, ist es egal, ob der Kopf will. Nur ganz langsame Gewöhnung und immer wieder ein bisschen über die Grenze zu gehen, kann die Angst abbauen.

Es hat einige Jahre gedauert, bis ich wieder angstfrei auf hohe Türme konnte, aber es hat geklappt. Die Metallgitterstufen des Förderturms, durch die man bis nach unten gucken kann, sind heftig, aber ich glaube, man sieht mir und meinen zügigen, sicheren Bewegungen nicht an, dass es auf der letzten Treppe im Unterbauch leicht kribbelt. Als ich oben bin, gucke ich sehr entspannt und mit doppelter Freude runter. Yeah!

Am späten Sonntagnachmittag komme ich von meinem Dortmund-Ausflug zurück und möchte „mal gucken“, wie es unter der Pressholzvertäfelung der alten Badezimmerdecke aussieht. Können wir die Unterlattung überhaupt noch verwenden oder müssen wir die auch neu machen? Wir hebeln das erste Brett raus. Dann das zweite. Dann … – eine halbe Stunde später sind alle weg. Die Unterlattung ist noch perfekt. Am nächsten Abend fahren wir zum Baumarkt, wo wir Dämmplatten und Profilbretter kaufen, am Tag darauf klebe ich Vormittags Dämmplatten an die Decke, am Abend bringen wir erst eine Konterlattung und dann die Holzdecke an. Das Bad ist klein, aber einige Stunden dauert es mit dem Messen, Sägen und Schrauben doch. Mit schmerzenden Muskeln und sehr müde fallen wir danach ins Bett. Es ist Dienstag und die neue Decke hängt. Überraschend schnell. Auch für uns.

Am nächsten Vormittag bin ich zuerst bei meinem Vater, fahre auf dem Rückweg zu Ikea, wo ich zwei neue Badezimmerschränkchen hole, und werkel danach bei schönstem Wetter im Garten. Die ersten Kraniche kommen rufend und krächzend aus ihren Winteraufenthalten zurück. Eine vorbildliche Formation löst sich über mir am Himmel auf und beginnt durcheinander zu kreisen. Ich nehme es als persönlichen Gruß. Der Frühling kommt.

Fipsi hat einen Freund. Ob es ein fester Freund oder wechselnde Freunde sind, kann ich nicht genau sagen, denn aus zwei Metern Entfernung sehen die Männchen alle ziemlich gleich aus. Fipsi wird die Unterschiede hoffentlich sehen. Der Freund wartet geduldig in der Nähe, bis Fipsi fertig mit Fressen ist und sie wieder zu ihm fliegt.

Vermutlich legt Fipsi in diesem Frühjahr selber schon Eier. Dann werde ich Vogel-Oma! Ich sehe schon vor mir, wie sie dann mit fünf oder sechs Spatzenkindern angeflattert kommt und ihnen zeigt, dass sie bei mir täglich Heimchen und Hirse bekommen. Ich überschlage kurz: Drei Bruten im Jahr, alle Vogelkinder brüten im nächsten Jahr selber – bis zur verrückten Alten, die täglich von hunderten Spatzen umflattert wird, die sie als natürliche Nahrungsausgabestelle sehen, dauert es bei mir wohl nicht mehr lange.  

Am Donnerstag fahre ich schon wieder nach Frankfurt. Der Sohn hat mit Freunden einen privaten Termin am Wochenende, könnte auch Bahn fahren, aber an Weiberfastnacht in Köln und Frankfurt am Bahnhof unterwegs zu sein, kann nervig sein. Außerdem finde ich es schön, sich mit ihm auf der Fahrt ausgiebig zu unterhalten. Er ist vor einem Monat erst ausgezogen und hat ein ganz anderes Lebensumfeld, da tut es auch ihm noch gut, abgeholt zu werden und jemanden zum Erzählen zu haben.

Ich fahre extra einige Stunden früher los, um auf dem Hinweg einen Aufenthalt in Idstein zu haben, das einige Kilometer vor Frankfurt liegt. Im Stadtkern gibt es viele bunte Fachwerkhäuser, schräge Kopfsteinpflasterwege und einen Hexenturm. Sehr schön. Es ist mitten in der Woche ziemlich leer und weitgehend touristenfrei. Bis auf mich.

Aus dem krummen Mittelalter geht es danach in die rechtwinklige Neuzeit der Frankfurter Bürostadt. Was für ein Kontrast! Beides auf eigene Art faszinierend.

Am nächsten Tag machen Sohn und Gatte in ihren Zimmern Homeoffice, und ich streiche die Badezimmerdecke einmal am Vormittag und ein zweites Mal am Nachmittag. Am Abend kommt extra der andere Sohn an und wir spielen mal wieder zu viert live am Tisch ein Pandemie-Spiel.

Früh am nächsten Morgen bekommt die Badezimmerdecke von mir ihren finalen Deckanstrich und ist fertig. Sie wirkt – so wie es auch schon bei der Küchendecke war – als wäre sie schon immer so gewesen. Nichts stört, sie passt und fügt sich völlig unauffällig ins Bild ein. Der Sohn sagt: „Ihr habt ein Talent, mit viel Arbeit etwas zu schaffen, dass dann gar nicht auffällt“. Da hat er Recht. Wäre aber auch blöd, wenn alle Leute zur Zimmerdecke hochblicken und verstört fragen: „Was habt ihr denn da gemacht?“

Wir spielen am nächsten Tag noch zwei weitere Brettspiele, essen lecker, gucken einen Weihnachtsfilm – thematisch unpassend, aber lustig -, dann fährt der eine Sohn zurück in seine Wohnung, der andere bleibt bis Montag. Beim Blick auf die vergangene Woche, die tatsächlich nur sieben Tage hatte, stelle ich fest, dass ich viel geschafft habe und immer noch Energie habe. Nur die legendäre Karnevalsparty aus alten Zeiten, zu der ich am Samstagabend extra eingeladen werde, muss für mich ausfallen. Die passt wirklich nicht mehr rein in diese Woche.