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Blog 803 – 17.09.2023 – Neues Leben, Kürzungen und reife Trauben

Gruselig. Es ist etwas gewachsen. Aus einer Samenkapsel, die ich seit mehr als zehn Jahren für tot gehalten habe. Mehrere der etwa 5 x 5 cm großen Samenkapseln wurden mir mal geschenkt, soweit ich mich erinnere, in Texas eingesammelt. Sie waren trocken, rappelten beim Schütteln und lagen bei mir jahrelang als Deko auf der Fensterbank. Dann lagen sie noch einige Jahre als Deko im Garten herum. In heißen Sommern, in frostigen Wintern. Was fängt man mit großen, trockenen Samenkapseln an, außer zu sagen: „Ui, sind die groß!“ Im letzten Jahr warf ich sie zum Verrotten in den Kompost. Und jetzt finde ich eine genau dort, und sie hat einen etwa 40 cm langen Austrieb.

Die vorher dunkelbraune Schale ist heller geworden, eine breite Wurzel guckt an einer Seite raus und auf der anderen Seite wächst eine dünne, lange Pflanze, die an ihren seitlichen Ausläufern Dreh- und Schling-Enden hat. Uaaah! Es lebt. Und es klammert sich fest. Aber was ist das? Eine invasive Pflanzenart, die in wenigen Wochen die Kölner Bucht überwuchern wird? Etwas längst Ausgestorbenes, das auf keinen Fall wieder zum Leben erweckt werden sollte?

Meine Recherche im Internet nach großen, fast viereckigen Samenkapseln bringt … nichts. Die scheint es nicht zu geben. Nicht mal im Natur-Deko-Shop, in dem es von Schoten, Samenkapseln und getrocknetem Zeug wimmelt. So ganz glücklich bin ich nicht mit der unbekannten Pflanze. Aus so großen Samen wachsen eher Mammutbäume als kleine Blumen. Trotzdem setze ich das „Ding“ in einen Blumentopf. Dort werde ich es unter Beobachtung halten. Sobald es „Feed me!“ ruft, muss es weg.

Die Trauben im Garten meines Vaters sind reif und müssen verarbeitet werden. In den letzten Jahren haben wir Saft und Marmelade daraus gemacht und waren mit mehreren Leuten gut beschäftigt. In diesem Jahr kann mein Vater körperlich kaum noch mitmachen und alle anderen Helfer sind entweder beruflich beschäftigt oder in Urlaub. Das heißt, ich bin alleine mit Beeren, leeren Flaschen und dem Dampfentsafter.

Die Trauben sind reif und sehr süß. Während des Pflückens merke ich, dass es in diesem Jahr deutlich weniger als im Vorjahr sind – was für ein Glück! Über eine Sensationsernte hätte ich mich gar nicht mal so sehr gefreut. Mein Vater sitzt am Tisch und zupft Beeren von den Stielen, und ich wechsle zwischen Traubenlese, Zupfen, Sortieren und Dampfentsaften. Leiter hoch und runter, Trauben verlesen, im Entsafter rühren, Trauben pflücken, Trauben sortieren, Saft ablassen …

Und wie es so ist, bei 87-jährigen Leuten, geht mein Vater selbstverständlich davon aus, dass ich zwischendurch auch noch Mittagessen in der vollgestellten Saftkochküche koche. Er hat sich ein Rezept ausgesucht und dafür eingekauft. – Hähnchenragout mit Ingwer, Zuckerschoten und Frühlingskarotten. – „Mach das mal!“, sagt er, und legt mir Sellerie, Möhren, Lauch und Frühlingszwiebeln hin, dazu eine Packung Hähnchenbruststreifen. Süß. Er hat keine Ahnung vom Kochen, aber farblich stimmt es.

Ich bastel ihm etwas aus den Zutaten zusammen und er findet es lecker. Toll, was es man alles so an Rezepten findet. Von denen aus der Zeitung möchte er jetzt öfter mal was gekocht bekommen.

Am Nachmittag sind die Trauben zu immerhin 11 Flaschen sehr leckerem Traubensaft geworden. Ich spüle viele Schüsseln, Siebe und den Dampfentsafter, putze die klebrige Küche, fahre nach Hause und fühle mich erledigt wie nach einem Umzugstag.

Viele Stunden sitze ich in dieser Woche außerdem im Garten und kürze das Vorlesebuch für den Herbst radikal, aber mit konzentriertem Blick auf die Verständlichkeit. Etwa ein Viertel der Geschichte darf übrigbleiben. Das ist wenig und bedeutet, dass ich nicht nur Dialoge kürze, sondern viele Szenen und sogar einige Handlungsstränge komplett streiche. Zu meiner großen Freude kann ich beim Kürzen auch viele der zahlreichen Namen verschwinden lassen. Es bleiben immer noch genug übrig. Die wichtigste Frage ist ständig: Ist das wichtig für den Verlauf und die Lösung des Falles? Wenn nicht, raus damit!

Als ich mit den Streichungen durch und am Ende des Buches angekommen bin, starte ich erneut von vorne. Jetzt muss ich den auf 540 Seiten übrig gebliebenen Text laut lesen und dabei die Stoppuhr laufen lassen. Das Endergebnis muss unter 5 Stunden Vorlesezeit liegen. Ich habe gewaltig gekürzt, aber reicht es? Laut vorlesen dauert länger als nur mit Augen und Hirn zu lesen.

Wieder verschwinde ich zwei Tage lang immer wieder für eine Weile mit dem Buch im Garten, lese laut und markiere mir jeden 10-Minuten-Block. Und dann: Täräää! Volltreffer! Insgesamt 282 Minuten – das sind 5 Lesungen zu jeweils 56,4 Minuten. Perfekt! Ich bin selber überrascht. Auch inhaltlich kommt es mir klar vor und geht logisch auf die Auflösung zu. In der nächsten Woche muss ich die Abschnitte noch sauber markieren und alles etwas ordentlicher gestalten, damit die Vorleseabschnitte, die manchmal nur einzelne Sätze sind, zwischen den gestrichenen Seiten gut zu erkennen sind. Aber erst in der nächsten Woche.

Die Weintrauben vor meiner Tür sind reif und der Dampfentsafter ist noch ausgepackt. 2700 Gramm Trauben pflücke ich von der noch jungen Weinpflanze ab. Nach zwei Stunden Arbeit habe ich fünf Gläser Gelee, fünf Miniflaschen Saft und unverhältnismäßig viele gebrauchte Töpfe und Schüsseln in der Küche stehen. Das Gelee, in das Gelierzucker musste, ist zwar fruchtig, erscheint mir aber zu süß, der pure Traubensaft ist superlecker.

Während ich in Warschau war, gab es bei „Szene 93“, ein Casting für das Theaterstück „Tod auf dem Nil“. Casting hört sich dabei nach mehr an, als es ist. Es treffen sich einfach alle am Mitmachen interessierten Leute, werden über das Stück informiert, lesen wechselnd aus dem Text und am Ende wird gesehen, ob es genug passende Mitspieler gibt. Da ich nicht dabeisein konnte, hatte ich schon vorher mein Interesse angemeldet und bin jetzt im Team.

Am Samstagmittag treffen wir uns zum ersten Mal. Wir lesen das gesamte Stück in unseren jeweiligen Rollen und es ist sofort zu merken: Das Stück ist gut, der Regisseur zieht es durch und es sind die richtigen Leute zusammen. Wir werden viel Spaß haben, aber auch ernsthaft arbeiten. Wie schön! Das wird richtig gut werden. Im Frühjahr soll Premiere sein.