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Blog 842 – 16.06.2024 – Haarige Beine, gerade Hecken und die Dernière

Am Sonntagabend stehe ich noch auf der „Nil“-Bühne, am Montag sitze ich schon in der Werkstatt im Sauerland. Der Fuchs, der seit Monaten in Werbeclips im TV und bei Social Media läuft, ist nochmal dran. Schon im letzten Jahr hat ihn Bodo Schulte gebaut und auch da war ich dabei, um Schaumstoff zu schnippeln, Fingerdrähte zu drehen und viel langhaariges Fell zu vernähen. Diesmal muss der Fuchs nicht neu entwickelt werden, sondern mit kleinen Änderungen nachgebaut, was weniger Entwicklungsarbeit, aber weiterhin viel Schnippel- und Näharbeit bedeutet.

Ich messe und schnippel Schaumstoff und messe und schnippel und drehe Drähte und schneide Fell und nähe und nähe und nähe. Das Wetter ist kalt. Die Schafskälte zieht über das Land und zwischendurch regnet es. Das macht es einfacher, von morgens bis abends über den Tisch gebeugt in der Werkstatt zu sitzen. Es macht es aber schwerer, zwischendurch die Türen zu öffnen, um sommerliche Luft durch den Raum wehen zu lassen. Im Gegenteil – am dritten Tag bleiben die Türen meistens geschlossen und der Ofen in der Werkstatt wird angemacht. Es ist unangenehm kalt – im Juni!

Am Mittwochabend sind Hände, Arme, Beine, Füße, Bauch und Schwanz fertig. Außerdem ist viel vorbereitet und auch die extra anzufertigenden Kostüme sind – bei einer Schneiderin – in Arbeit. Hach, ich bin immer ganz verzückt, wenn ich am Ende knuddelige Beine und Arme vor mir liegen habe, die sich schön und natürlich bewegen lassen und sehr niedlich sind. Als ich nach Hause fahre, merke ich plötzlich, dass ich nach den langen Tagen und der sehr konzentrierten Arbeit doch ziemlich erschöpft bin. Das intensive Bauen macht viel Spaß, aber es verbraucht auch Energie.


Am nächsten Morgen gratuliert mir der Gatte zum Hochzeitstag, den ich völlig vergessen habe. Ich habe keine Ahnung, was für ein Datum ist, ich bin froh, dass ich überhaupt ziemlich sicher bin, dass es gerade Donnerstag ist. Der Gatte sieht nach, wie der 35. Hochzeitstag bezeichnet wird. Es ist die Leinenhochzeit, weil man da früher oft ein Bild vom Jubelpaar auf Leinwand malen ließ. Tja, das klappt bei uns so spontan heute auch nicht mehr. Stattdessen fährt der Gatte zum Discounter, wo es eine große Heckenschere im Angebot gibt. Die gibt es da aber unabhängig vom Hochzeitstag und der Kauf war vorher schon besprochen.


Anstatt mich schnell auf Leinwand malen zu lassen, fahre ich währenddessen zu meinem Vater, wo ich auf einer Leiter stehend Weinaustriebe entferne, mit ihm einen Koffer packe – was nicht einfach ist, weil er nicht viel tragen möchte, aber doch einiges dabeihaben sollte -, Kram erledige und Mittagessen koche. Nach dem Mittag fahre ich nach Hause. Ich habe Kopfschmerzen und unter den Augen dunkle Ränder. Werde ich krank? Oder bin ich einfach nur müde? Ich falle ins Bett und wache nach zweieinhalb Stunden frisch und munter auf. Sogar die Ränder unter den Augen sind deutlich heller. Da habe ich wohl eine Runde erholsamen Schlaf gebraucht. Ich greife zur Heckenschere, probiere sie im Garten aus und schneide ratternd Hecken gerade und Büsche rund. Es geht wunderbar und ich bin sehr begeistert.

„Das ist das schönste Hochzeitsgeschenk ever!“, juble ich. Der Gatte freut sich. Wenn man nach 35 Jahren Ehe die Gattin mit einer Heckenschere so erfreuen kann, ist doch alles prima. Normalerweise gehen wir am Hochzeitstag gemeinsam essen, aber das passt gerade nicht so gut, weil ich nicht möchte, dass dann das Theaterkleid am nächsten Tag nicht passt. Oder wie Presswurst aussieht. Wir verschieben den Essenstermin auf „demnächst“, da sind wir vermutlich immer noch verheiratet.


Am Wochenende spielen wir drei „Nil“-Vorstellungen. Eine am Freitag, zwei am Samstag. Die letzte Vorstellung ist die Dernière. Am Freitag ist das Publikum zwar aufmerksam, aber sehr reaktionsvermindert, obwohl wir gut spielen. Es wird zwischendurch wenig geklatscht und kaum reagiert. Danach gibt es viel Lob. Keine Ahnung warum, aber manchmal ist das so. Bei den Samstagsvorstellungen passt es wieder und wir drehen nochmal auf. Es fluppt und läuft sehr gut und wir fühlen uns wohl. Das Gefühl, dass wir jetzt zum letzten Mal spielen, lässt sich aber nicht komplett wegdrücken. Wir lachen hinter der Bühne viel, aber es ist auch etwas Bedauern und Wehmut dabei.

Am Ende des Abends stehen wir im Hof, trinken Sekt und stoßen auf die erfolgreichen Aufführungen an. Dann setzen wir uns auf die Bühne, essen und erzählen von kleinen Pannen und lustigen Sachen bei unserer Nilfahrt. Wir sind eine harmonische Gruppe und haben viel Spaß zusammen. Es war ein langer Tag für uns, darum räumen wir unsere persönlichen Sachen noch weg und verabschieden uns herzlich. Demnächst gibt es noch einen Essenstermin und wir verlieren uns sowieso nicht aus den Augen, aber die Nilreise ist beendet, wir verlassen das Schiff.