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Blog 853 – 01.09.2024 – Trubel, Hängematte, Geschworene und Staub

Meine letzte Ferienwoche bricht an und bringt weiterhin keine Ferien. Zum Glück kann ich zumindest am Sonntagnachmittag nochmal im Hof sitzen und zwei Stunden an einem Katzenkörper bauen. Mal sehen, ob die Kombination aus geklebtem Schaumstoff, der mit Vlies und Stoff bezogen werden soll, eine gute Idee ist. Es kann auch sein, dass beim Beziehen alles zusammengedrückt wird. Ehe ich das herausfinden kann, muss ich schon wieder aufhören. Für diese Woche ist das die letzte Gelegenheit zum Miezekatze bauen, von daher bleibt es spannend, wie es weitergeht. Und wann.


Am nächsten Vormittag fahre ich ins Krankenhaus und finde meinen Vater sehr blass im Bett liegend vor. Er bekommt die Augen nur mit Mühe auf und krächzt mühsam kaum verständliche Worte. Nach mehreren Versuchen verstehe ich „Schmerzen“ und „Rückfall“ und „Beine nicht bewegen“. Oh, nein, hat er einen erneuten Schlaganfall bekommen? Warum liegt er hier und es kümmert sich niemand um ihn? „War ein Arzt da?“, frage ich ihn. „Nein, keiner“, antwortet er mühsam. Ich gebe ihm etwas zu trinken, woraufhin er stetig besser zu verstehen ist. Dann entdecke ich Krümel auf seiner Hose. „Hast du heute Morgen schon gefrühstückt?“ „Ja.“ „Im Bett liegend?“ „Nein, ich saß auf dem Stuhl“. Nach meinem ersten Schrecken stellt sich nach und nach heraus, dass er seit der Nacht sehr heftige Rückenschmerzen hat. Er hat kaum geschlafen und ist jetzt sehr erschöpft. Nach drei Wochen im Bett hat er sowieso kaum noch Kondition. Das Pflegepersonal, das ich anspreche, weiß aber schon Bescheid und hat ihn im Blick.

Nachdem ich ihm mehrfach sein Getränk gereicht habe, spricht er wieder flüssig. Empört beschwert er sich, dass er von der Nachtwache nicht sofort eine Schmerztablette bekommen hat. „Die dürfen dir nicht einfach eine Schmerztablette geben“, erkläre ich, woraufhin er sauer sagt: „Das ist ein Sonderfall. Da können die mal eine Ausnahme machen!“ Ich finde heraus, dass „ich kann die Beine nicht bewegen“ heißt, dass das momentan etwas eingeschränkt zu bewegende Bein wie üblich funktioniert, das „gute“ Bein beim Bewegen aber schmerzt, weil es dann von der Hüfte bis in den Rücken zieht. Vermutlich wegen der Rückenschmerzen. Puh, also kein Schlaganfall. Als das Mittagessen kommt, stützt er sich ächzend hoch, schiebt stöhnend die Beine über den Bettrand und setzt sich langsam auf den bereitstehenden Stuhl. Geht alles noch. Als die Visite kommt, werden erst einige besorgte Fragen gestellt, dann wird beruhigt genickt und eine Schmerztablette verordnet. Sie gehen ebenfalls von akuten Rückenschmerzen aus.


Am Nachmittag bekomme ich nochmal die Telefonnummer der polnisches Pflegekraft gemailt, die ich bisher nicht erreichen konnte. Siehe da, es gibt eine Zahl mehr am Ende der Nummer und damit klappt es sofort. Sie hört sich sympathisch an, versteht, was sich sage und kann deutsch antworten. Nicht perfekt, aber weitaus besser als die vier polnischen Wörter, die ich kenne. Das reicht, damit sie und mein Vater sich gut verstehen können, was ich wichtig finde. Ganz besonders bei der ersten Pflegekraft, an deren Anwesenheit sich mein eigenständiger Vater ja auch gewöhnen muss.


Am nächsten Morgen rufe ich mit mulmigem Gefühl meinen Vater an, aber dem geht es – wie schon am vorherigen Nachmittag – deutlich besser. Zum Glück. Darum kann ich wie geplant nach Düsseldorf fahren, wo ich dem Sohn einige Sachen mitbringe, die wir in den vierten Stock tragen. Dann fahren wir gemeinsam ins Möbelhaus, wo er Regale, Vorhang und Vorhangstange kauft, die wir dann ebenfalls in seine Wohnung hochtragen. Sachen schleppen, Möbel schrauben und Löcher bohren ist nicht das, was ich jetzt unbedingt machen möchte, aber für den Sohn und mit ihm zusammen ist es völlig in Ordnung. Zu zweit und mit einem Auto gehen manche Sachen schneller und es macht Spaß.

Warum eigentlich sind die Leitungsprüfer, die Elektroleitungen in der Wand anzeigen sollen, so unzuverlässig? Wir arbeiten mit drei Modellen, die alle zwischendurch mal lospiepsen, beim erneuten Drübergehen ruhig sind oder kurz darauf wieder lospiepsen. Oder zwei bleiben ruhig und eines piepst. Immerhin stellen wir irgendwann fest, dass eines der Modelle piepst, sobald es nicht aufrecht, sondern quer gehalten wird. Es hatte uns kurzzeitig nervös gemacht, als es beim Überprüfen der schon angezeichneten und freigegebenen Bohrlöcher plötzlich durchgehend laut warnte. Nach gründlichem Untersuchen jedes Bohrbereiches kommen wir allerdings jedes Mal zur Bewertung: „Hier dürfte eigentlich nichts sein.“ Sicher sind wir nie. Zusammen mit Wänden, deren Putz an manchen Stellen bröckelig sein kann, macht es das Bohren spannend.

Wir sind beide urlaubsreif und ziemlich erschöpft, arbeiten aber gut zusammen und lachen viel. Zum Beispiel wenn ein Piepser mal wieder genau über dem vorher untersuchten Bohrloch laut lospiepst, wenn ein von beiden ausgemessenes Bohrloch falsch ist, weil wir beim letzten Anzeichnen unbemerkt ein Bauteil falsch herum gehalten haben, und auch, wenn die „Mitte“, die wir ausrechnen und mit dem Zollstock abmessen, dreimal woanders markiert wird. „Wir sind zu nah dran“, stöhnt der Sohn lachend. „Wir brauchen einen Bauleiter, der alles überwacht.“ Trotzdem setzen wir gute Bohrlöcher und haben am Ende alles gerade, schön und geradezu vorbildlich hängen.

Am Nachmittag sind wir – viel später als gedacht – fertig. Ich mache eine kurze Pause in der Hängematte auf dem Balkon. Die Sonne scheint und piepsende Stieglitze holen sich neben mir am Futterhaus Körner. Leider kommen gerade keine grünen Papageien, die sich dort sonst auch oft einen Snack holen. Papageien auf einem Balkon in Düsseldorf, das finde ich schon cool. Aber auch Stieglitze sind toll.

Ehe ich mitten in der Gemütlichkeit einschlafe, holen wir uns zwei Burger und essen sie als Abschluss des gemeinsamen Werktages auf dem Balkon. Das war ein guter Tag. Am Abend komme ich wieder zuhause an. Ich habe tagsüber zu wenig getrunken, weil ich zu konzentriert bei der Arbeit war, bin total müde und habe leichte Kopfschmerzen.


Mitten in der Nacht wache ich mit heftigen Kopfschmerzen auf, nehme sogar eine Schmerztablette, bleibe aber trotzdem mit drückenden Kopfschmerzen wach. Gegen 5 Uhr schlafe ich endlich ein, um 7 geht der Wecker. Ich stelle ihn auf 8 und schlafe nochmal ein. Danach geht es schon besser. Schnell bügle ich die gewaschene und inzwischen getrocknete Wäsche meines Vaters und fahre damit zu ihm ins Krankenhaus. Ihm geht es wieder recht gut. Eine Stunde später fahre ich weiter zu seinem Haus, wo ich die Sperrmüllteile, die vor der Garage stehen, an die Straße rücke. Einige Möbel und ein ganzer Karton voll Kram und Dekozeug sind aufgrund eines „Zum Mitnehmen“-Zettels verschwunden, auch das Sofa wurde abgeholt. Wie schön. Jede Verwendung ist besser als die Müllkippe. Auf einer Kommode liegen noch drei Bücher und eine Dekomarionette. Vielleicht nimmt die noch jemand mit, ehe am nächsten Morgen der Müllwagen kommt.

Auf dem Rückweg nach Hause höre ich im Autoradio WDR 4 und erkenne plötzlich meine eigene Stimme. Die ist vom kurzen Interview, das der Gatte und ich im letzten Oktober einem WDR-4-Reporter gegeben haben. Er hat viele Hörerstimmen gesammelt, die sagen, warum sie gerne WDR 4 hören. Die werden jetzt als kurze Einspieler gesendet. Den Gatten haben wir vorher schon mal gehört, jetzt höre ich zum ersten Mal meinen Beitrag. Witzigerweise kann ich mich an den Inhalt gar nicht erinnern, die Stimme ist aber eindeutig meine.


Am Abend treffen sich einige der „Tod auf dem Nil“- Mitspieler, um den Videomitschnitt der „12 Geschworenen“ aus dem Jahr 2020 anzusehen. Einige Nil-Spieler waren auch Geschworene, andere möchten das Stück gerne mal ansehen. Wir bauen Leinwand und Beamer auf, doch es gibt technische Probleme. Erst will die DVD nicht starten, als es endlich klappt und wir gemütlich gucken, stoppt sie mittendrin und will nicht weitermachen. Zum Glück kann ein Mitgeschworener schnell seine eigene DVD von Zuhause holen, so dass wir nach einer längeren Pause ohne Störung bis zum Schluss weitergucken können.

Das Stück und unsere Inszenierung sind immer noch sehr spannend und kein bisschen langweilig. Wie gut das mit den Dialogen und dem schnellen Schlagabtausch geklappt hat, wird mir immer bewusster. Es wirkt alles sehr lebendig und energiereich. Wegen der DVD-Probleme endet der Abend viel später als geplant, aber es ist sehr warm und da ist das mit dem frühen Einschlafen ja sowieso nicht so einfach. Das mit dem DVD-Gucken alter Produktionen wollen wir beibehalten.


Am nächsten Tag räume ich bei mir selber Sperrmüll vor die Türe. Es ist nicht viel, erleichtert trotzdem und schafft Platz. Ansonsten ist der Tag frei, was bedeutet, dass ich in Ruhe aufräumen, abspülen, Wäsche waschen und Unterlagen sortieren kann. Für die Katze bleibt keine Zeit. Immerhin rudere ich 2000 Meter im Zimmer, was gerade auch nicht täglich klappt, weil ich manchmal keine Lust auf weitere Anstrengung habe.


Am Freitagmorgen bin ich schon um 8 Uhr in Bonn und hole einen wendigen, dreibeinigen Wohnungsrollator ab, den ich gebraucht bei Kleinanzeigen gefunden habe. Es regnet. Sowohl der Rollator als auch ich sind nicht auf das nasse Wetter vorbereitet. Wir sind aber beide nicht aus Zucker. Meine Hoffnung, dass der Rollator so schmal ist, dass er im Schlafzimmer meines Vaters kratzfrei zwischen Bett und Schrank passt, erfüllt sich nicht, aber er ist leichter und wendiger als sein Straßenrollator und könnte recht gut zu gebrauchen sein.

Als ich danach zum Krankenhaus fahre und meinem Vater davon berichte, meint er, dass er keinen zweiten Rollator brauche. „Aber der passt sogar ins Badezimmer und du kannst ihn da um die Ecke fahren“, sage ich. „Ich komme mit dem anderen klar.“ Ich argumentiere: „Aber er hat ein Tablett, auf dem du einen Teller mit Essen oder eine Tasse Tee fahren kannst!“ Mein Vater guckt nur und sagt nichts. Das ist ein gutes Zeichen. Vielleicht sieht er die Vorteile doch noch ein.


Als das grandiose Ende meiner Ferien und als Tüpfelchen auf dem i nach einem erholsamen, wunderbaren freien Monat hatte ich mir seit dem Frühjahr ein Steinhau-Wochenende eingeplant. Zwei Tage Steine klopfen in der Eifel – hach, großartig! – dachte ich damals. Jetzt denke ich: „Oh, menno. Mitten in dem ganzen Trubel auch noch zwei Tage in der Eifel. Ich habe ja gar keinen Kopf frei dafür!“ Aber dann wird mir klar, dass eintöniges, stundenlanges, dumpfes Hämmern auf Stein genau das ist, was mir gut tun wird. Also fahre ich am Samstagmorgen los in die Eifel zum Steinhau-Verein nach Weibern.

Dort suche ich mir einen dicken, Stein, um aus ihm einen Teetisch zu klopfen. Die Idee ist, dass oben eine Steinplatte bleibt, auf die ich im Garten Teekanne und Tasse stellen kann, und die unten von zwei aufrecht stehenden Figuren gehalten wird.

Während ich am schweren Stein hämmere, stelle ich fest, dass meine Idee nicht durchzuführen ist. Da ich wegen des Gewichtausgleichs unten eine Bodenplatte brauche, würden die beiden Figuren im verbleibenden Platz sehr schmal werden. Vielleicht sollten sie sitzen? Ach, erstmal hämmere ich Material raus und überlege nach dem Mittagessen, wie ich die Mitte gestalten könnte.

Ich bin umgeben von netten Menschen und Geklopfe, es staubt, Steinbröckchen fliegen mir um die Ohren, die Sonne scheint und wenn ich kurz nach oben gucke, sehe ich grüne Bäume und einen blauen Himmel. Perfekte Entspannung bei anstrengender Arbeit und schmerzenden Handgelenken. Mir gefällt es sehr.

Am Nachmittag entscheide ich, dass zwei sitzende Figuren zwar machbar wären, wegen des Arbeitsaufwandes aber mindestens zwei weitere Tage im Klopfcamp bedeuten würden. Ich möchte diesmal aber weitgehend fertig werden, darum ändere ich meine ursprüngliche Idee in ein Relief. Ein Frauengesicht mit Blumen und wehenden Haaren soll es werden. Das bedeutet allerdings, dass ich noch viel weiter in den Stein graben muss, um das Gesicht dreidimensional zu gestalten. Ich fange an und finde die Arbeit sofort deutlich schöner als das pure Wegklopfen von Material. Bisher war es Beruhigung, jetzt wird es Kreativität.

Das Gesicht lässt sich gerade erahnen, da ist schon Arbeitsschluss für den ersten Tag. Es gibt Gegrilltes im Brötchen, wir sitzen noch etwas zusammen, dann fahre ich staubig, entspannt und glücklich nach Hause. Heute geht’s weiter. Mal sehen, wie der Teetisch und die Dame am Abend aussehen werden.