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Blog 768 – 15.01.2023 – Kurze Strippen, fehlende Verträge und hohe Häuser

Am Ende der Woche wird der Sohn nach Frankfurter ziehen. Weil er in dem kleinen Apartment deutlich weniger Platz als vorher in seiner Studentenwohnung hat, wählen wir streng aus, was er von seinen eingelagerten Sachen mitnimmt. Es kommt trotzdem einiges zusammen. Schlafen, duschen, arbeiten, kochen und essen muss er auch in einer Ein-Zimmer-Wohnung.

Als ich bei meinem Vater bin, braucht er eine neue Arbeitslampe an der Decke. Die alte ist schon abmontiert, die neue ausgepackt und vorbereitet. Früher hat er so etwas selbstverständlich und nebenbei gemacht, jetzt ärgert es ihn sehr, dass er sich auf der Leiter nicht mehr sicher genug fühlt. Er holt mir historisches Werkzeug. „Mit der Bohrmaschine habe ich schon alles beim Hausbau gemacht“, sagt er. Das war 1970. Da waren auch die Autos noch so eckig wie die alte Bohrmaschine. Sie läuft noch gut, hat aber eine solche Unwucht, dass die Bohrspitze deutlich kreiselt. Das ist ungünstig, wenn ich eine markierte Stelle treffen möchte, praktischerweise kann ich aber mit einem Sechser-Bohrer Achter-Löcher in die Decke machen.  

Als das Lampengehäuse hängt, sagt mein Elektrikermeister-Vater: „Jetzt die Strippen durchziehen!“ „Welche Strippen?“ „Die da!“ Ach, er meint die Stromkabel. „Ist der Strom abgestellt?“, frage ich. „Ich glaube schon“, versichert er. Als ich zögere, meint er: „Halt mal die beiden Enden aneinander!“ Ich mache es sehr vorsichtig, passe auf, dass ich dabei keinen Draht berühre und erwarte Gebritzel, einen Knall oder Feuerwerk. Es passiert nichts. „Siehste!“, sagt mein Vater.

Die Kabelenden sind zu kurz und reichen nicht bis zur Lüsterklemme der Lampe. Ich frage: „Und nun?“ „Verlängern!“, ist die Antwort, der ich anhöre, dass er sich fragt, wie ich so blöd sein kann. „Wie denn verlängern?“ Ich bin die Tochter eines Elektrikermeisters und die Gattin eines Elektroingenieurs. Aus diesem Grund habe ich selber überhaupt keine Ahnung von Verkabelungen und Anschlüssen, weil die immer alles sofort gemacht haben. Dass beim Verlängern von Stromkabeln keine Knoten reichen, ist mir klar, aber muss man löten?

„Mit Klemmen!“, sagt mein Vater, und holt aus seinem Werkraum eine Lüsterklemme. „Ach ja“, denke ich, und überlege sofort weiter, dass eine Klemme alleine nicht reichen kann, weil die Kabel zu kurz sind und ich auch noch kleine Kabelstücke haben müsste. Mein Vater guckt nach oben zum Lampenanschluss und sagt: „Ach, nee, die brauchen wir dann gar nicht, da habe ich noch andere“ und bringt die Lüsterklemme wieder weg. Ich bleibe verwirrt zurück. Er kommt mit einer anderen Lüsterklemme wieder, die für mich aussieht wie die vorherige und sagt: „Die hier reicht dafür.“ Ähm, ja. Ich stehe mit der Lüsterklemme in der Hand auf der Leiter und blicke auf die zu kurzen Kabel. Mein Vater kann nicht fassen, wie blöd seine eigene Tochter ist.

„Jetzt die Kabel da rein!“ weist er an. Ich wende ein: „Aber es bleibt doch zu kurz. Ich brauche dann doch noch Kabelstücke, um bis zur nächsten Klemme zu kommen!“ Irgendwie habe ich den Plan noch nicht begriffen. Mein Vater wirkt leicht gereizt. Vermutlich, weil er gerne alles selber und ohne blöde Fragen gemacht hätte. Er geht nach nebenan und holt zwei Kabelstücke, was er sowieso gemacht hätte, sobald ich die Kabelenden in der ersten Lüsterklemme befestigt hätte. Aaah! Jetzt ist mir klar, wie es gemeint ist. Kurz darauf ist alles verbunden und die Lampe leuchtet vorschriftsmäßig. Mein Vater freut sich und ist stolz, was seine Tochter so alles kann.

Zwischen dem Kramen in den eingelagerten Kisten und dem Zusammenstapeln der Umzugssachen, schaffe ich es tatsächlich, meine Neujahrskarten fertig zu machen. Auch diesmal habe ich mir wieder Klebearbeit gemacht, die zeitaufwändiger Extrakram ist. Während ich schnippel, klebe und immer wieder die prittverschmierten Finger abwasche, nehme mir vor, bei der nächsten Karte einen Spruch gleich mit draufdrucken zu lassen. Das Schreiben von persönlichen Grüßen auf jede Karte braucht immer schon viel Zeit, da sollte ich den aufwändigen Bastelkram lieber sein lassen.

Als die Karten im Briefkasten sind, freue ich mich. Ich war schon besorgt, dass es aufgrund des Umzuges Februar hätte werden können, bis ich endlich ein schönes neues Jahr wünsche. Allerdings bin ich aktuell etwas skeptisch, wann und ob überhaupt alle Briefe von der Post auch ausgetragen werden. Die bei mir eingetroffene Weihnachtspost war bis jetzt ungewöhnlich gering, es wird von großen Personalproblemen bei der Post berichtet, und wir warten seit einer Woche sowohl auf den angekündigten Mietvertrag des Sohnes als auch auf seinen finalen Arbeitsvertrag, die er beide unterschrieben zurückschicken soll.

Es wird Donnerstagmittag, das Postfahrrad fährt vorbei und die Verträge sind immer noch nicht da. Abgesprochen ist, dass der Sohn am nächsten Tag, dem Freitag, in das Apartment ziehen kann und am Montag dann seinen ersten Arbeitstag hat. Spannend. Vielleicht klappt es mit der Wohnung doch nicht? Oder die Arbeitsstelle wird kurzfristig abgesagt? Oder die Stelle wird gestrichen, aber die Wohnung ist da und muss ein halbes Jahr lang bezahlt werden? Je länger ich nachdenke, desto mehr Varianten fallen mir ein. Erstaunlicherweise bleibe ich recht gelassen. Der Arbeitgeber ist seriös und die „Community Managerin“ im Apartmenthaus wirkte nett und zuverlässig – das wird schon klappen. Und siehe da: Nach Anrufen und SMS stellt sich heraus, dass der Wohnungsvertrag erst spät fertig war, jetzt als Mail geschickt wird und die Wohnungsübergabe morgen stattfinden kann, und dass der Arbeitsvertrag schon lange da sein müsste und dann eben am ersten Arbeitstag vor Ort unterschrieben wird.

Am nächsten Morgen kann es losgehen. Der Sohn füttert noch einmal Fipsi. Er hat sie mit aufgezogen, war in ihren ersten Wochen zuerst beliebter Kuschel- und dann Landeplatz, und ist seitdem ein selbstverständlicher Hirsefütterer, der ihr sehr vertraut ist. Wird sie auch weiterhin so selbstverständlich zu ihm fliegen, wenn er nur noch selten als Besuch da ist?  

Mit dem vollgepackten Auto fahren der Sohn und ich nach Frankfurt. Das Apartmenthaus befindet sich in einem Viertel, in dem sich große Bürogebäude und große Wohnkomplexe befinden. Es wird weiterhin viel gebaut, Flugzeuge im Landeanflug zum Frankfurter Flughafen sind immer wieder zu sehen. Großstadtleben.

Wir tragen seine Sachen in das möblierte Apartment, das für die nächsten Monate sein Zuhause sein wird. Es ist wirklich nicht sehr groß, aber hübsch und gemütlich.

Wir räumen ein, besorgen die letzten Kleinteile, fahren quer durch Frankfurt, um einen Stick für den Internetempfang zu kaufen, tauschen ihn am nächsten Tag wieder um, weil er nicht richtig funktioniert, haben mit dem anderen Modell dann aber Erfolg. Zwischendurch gehen wir essen. Einmal portugiesisch, wo es ein gefülltes Sandwich mit Spiegelei in einer würzigen Soße gibt, was eine für uns ungewöhnliche Zusammenstellung ist, aber sehr lecker schmeckt.

Am nächsten Tag afghanisch, was frisch und wirklich gut schmeckt, für uns aber unerwartet sanft gewürzt ist. Das hatten wir anders erwartet. Da um uns herum aber auch mehrere Familien mit arabischem oder afrikanischem Hintergrund essen, scheint es ziemlich authentisch zu sein.

Ich bin ja so gar kein Stadtmensch, finde die hohen Türme in Frankfurt, die wie ein kleines New York wirken, aber trotzdem faszinierend. Einerseits mag ich sie aus Prinzip nicht, andererseits sehe ich auch ihre stille Schönheit, ihren Stolz und ihre Grazie. Als wir am Abend auf dem Weg zum Internetkauf nah an ihnen vorbeifahren, leuchten sie wunderbar und der dunkle, aber noch leicht blaue Himmel sieht toll dazu aus. Weil ich am Steuer sitze und auf den Autoverkehr achten muss, kann ich kein Foto machen, was ich sofort äußerst bedauerlich finde. Stattdessen fotografiere ich am nächsten Morgen einen Zigarettenautomaten.

Am Samstagnachmittag lasse ich den Sohn in Frankfurt zurück, wo er gespannt und freudig in sein neues Arbeitsfeld starten wird, und fahre nach Hause. Am Abend treffen wir uns zu viert aus Frankfurt, Düsseldorf und Erftstadt für ein Familien-Onlinespiel am Computer. Weil wir uns dabei hören und über Kameras sehen, ist das verblüffend ähnlich wie zusammen an einem Tisch zu spielen. Schön, wenn wir zwischendurch so verbunden sind.