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Blog 810 – 05.11.2023 – Schwarze Knorpelkirsche, Herbststurm und Nilfahrt

Gleich am Montag fahre ich los, um in der Baumschule nach einem Kirschbaum zu gucken. Mit dem seitlich etwas geknautschten Auto, dessen Beifahrertür sich knirschend und dabei leicht absinkend zu zwei Dritteln öffnen lässt, das aber fahrtüchtig ist. Ich hatte ja befürchtet, dass ich es vorerst gar nicht benutzen kann und den Baumkauf ins Frühjahr verschieben muss, aber jetzt geht es doch. Allerdings werde ich das Auto nur nehmen, wenn es nicht anders geht, denn richtig gut fühle ich mich damit nicht. Nach Aussage der Werkstatt kann es locker ein bis zwei Monate dauern, bis die Ersatzteile ankommen. Oder auch länger.

In der großen Baumschule gibt es gefühlt tausend Apfel-, Pfirsich-, Birnen- und Kirschbaumsorten. Auf den ersten Blick sehen die alle gleich aus. Ich laufe durch die „Kirschbaumreihen“ und blätter mich durch die angehängten Schildchen. Stella, Kordia, Regina, Süßkirsche, Glaskirsche, Herzkirsche, Gelbe Knorpelkirsche, Rote Knorpelkirsche, Schneiders Späte Knorpelkirsche … Nur die Große schwarze Knorpelkirsche ist nicht dabei. Ganz kurz überlege ich, ob ich eine andere Sorte wähle, denn die sehen auch gut aus, aber nein, es soll diese eine sein, die auch früher immer im Garten stand.

Plötzlich sehe ich, dass die Obstbäume zwar nach Obstarten geordnet in Reihen stehen, es aber in dem großen Freigelände mehrere Bereiche gibt, in denen es sortierte Obstbaumreihen gibt. Aus welchem Grund auch immer, denn die Bäume sehen dort nicht größer, breiter oder anders aus. Ich laufe herum und gucke die angehängten Schildchen an – und endlich finde ich sie: Die Große Schwarze Knorpelkirsche. Es gibt nur vier eingetopfte Exemplare und eins davon übermittelt mir ganz deutlich: „Ich bin es!“ Seltsam, aber nur bei dem einen Baum habe ich sofort das Gefühl, dass er in meinen Garten gehört und dort auch hinwill, die anderen drei bleiben still. Vermutlich gefällt mir einfach die Form am besten. Der junge Baum ist nicht ganz so hoch, wie ich ihn gewünscht hätte – seine Größe sollte knapp von der Länge des Autos begrenzt werden und jetzt passt er ohne umgeklappte Sitze hinein und hätte von mir auch im Kleinwagen transportiert werden können -, aber immerhin. Es ist eine Große Schwarze Knorpelkirsche. In relativ klein.

Zuhause topfe ich den Baum vom Topf in den Garten um und gieße kräftig an. Hurra! Ich freue mich. Das ist ein schöner Platz für meinen Kirschbaum. Wenn er mal groß ist, wird er den Bereich beschatten und der gepflasterte Weg malerisch neben und unter ihm entlanglaufen. Außer wenn einer der dicken Zweige zu tief wächst, dann hauen sich die Benutzer des Weges entweder den Kopf oder müssen sich darunter bücken. Vielleicht fragen sich spätere Generationen mal, warum irgendein Idiot den Kirschbaum genau an diese Stelle gesetzt hat. Der Idiot bin ich und für mich fühlt sich das alles gerade genau richtig an.

Bis weit in den Oktober hinein war es im Rheinland warm und an den Bäumen sind die Blätter sommerlich grün geblieben. Das ist nicht gut, hörte ich vor kurzem, denn die Gelbfärbung der Blätter zeige an, dass sie ihre Nährstoffe zurück in den Stamm geben. Wenn das vor den Herbststürmen nicht geschehe, gehe der Baum geschwächt ins nächste Jahr. Ich bin noch leicht besorgt, da färben sich sehr viele Blätter innerhalb von Tagen – oder Stunden? – gelb, rot und bunt.

Als in dieser Woche der erste Herbststurm durch den Garten braust, rollt er nicht nur polternd die Gießkannen herum, sondern nimmt auch viele Blätter mit. Außerdem macht er mir das Werkeln schwer, weil er mit seinen Sturmböen ständig Haarsträhnen vor, in, hinter und über mein Gesicht fegt. Mir fehlt eindeutig 3-Wetter-Taft. Obwohl ich gar nicht mal weiß, ob Sturm bei den drei Wettern dabei ist.

Die Aufführungstermine für „Tod auf dem Nil“ sind gewählt. Die Premiere wird am 11. Mai sein, die letzte Vorstellung Mitte Juni. Damit bekomme ich mehr Übersicht über meine Termine und weiß nun auch sicher, was ich vorher schon vermutet hatte: Die Karte für das Rainald-Grebe-Konzert im Mai kann ich nicht nutzen. Ich werde an dem Abend auf dem Nil fahren. Rainald wird – davon völlig unbeeinflusst – trotzdem in Bonn am Klavier sitzen. Außer er sagt das Konzert ab, weil er sich lieber unsere Vorstellung angucken möchte. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist gering.

Beim Textlernen bin ich auf einem guten Weg. 75 % des Textes kann ich schon recht sicher, davon allerdings erst 10 % so, dass ich ohne Textbuch aufs Stichwort passend reagieren kann. Das heißt, es schwirren viele Sätze textsicher in meinem Kopf herum, wissen aber nicht genau, wann und in welcher Reihenfolge sie drankommen. Ich habe nicht mal viel Text und keine langen Monologe, aber Auswendiglernen und genau zu wissen, wo im Dialog mein nächster Satz beginnt, ist für mich echte Arbeit. Wobei die richtigen Dialoge viel einfacher gelernt sind als kurze Einwürfe, die mittendrin abgegeben werden müssen. Wird aber.

In Frankfurt hat der Sohn die Zusage für eine Wohnung. Mündlich. Mietbeginn 1. Dezember. Der Mietvertrag kann wegen Abwesenheit der Vermieterin erst in der nächsten Woche unterschrieben werden. Sein bisheriges Apartement müsste er aber in dieser Woche bis zum 3. fristgerecht kündigen, damit er es nur bis Ende Januar bezahlen muss. Bei den Frankfurter Preisen sollte man nicht allzu lange zwei Wohnungen gleichzeitig mieten, wenn man nur eine braucht. Was nun? Eine Woche warten, bis der neue Mietvertrag fest unterschrieben ist und dafür einen Monat länger für das Apartment zahlen, oder jetzt das Apartment kündigen und hoffen, dass in der nächsten Woche mit dem Mietvertrag alles klappt?

Wir überlegen gemeinsam und entscheiden uns für Risiko, Vertrauen, Wirtschaftlichkeit und Wahnsinn. Der Sohn kündigt den Mietvertrag seines Apartments sofort und geht davon aus, dass er in der nächsten Woche einen neuen unterschreibt. Und dass darin nicht Zusätze stehen wie: Duschen nur zwischen 15 und 16 Uhr, Samstags Wocheneinkäufe für alle Mitbewohner erledigen und einmal im Jahr das gesamte Treppenhaus streichen.

Abgesehen davon, dass es für den Sohn schön ist, endlich wieder mehr Platz als seit einem Jahr im möblierten 22-Quadratmeter-Apartment zu haben, bedeutet eine Wohnung auch, dass er seine bei uns eingelagerten Regale, Stühle, Bücherkisten, Teppiche und Schreibtischlampen wieder brauchen kann. Auch wir werden dann mehr Platz haben – um unseren eigenen Kram dort abzustellen.