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Blog 825 – 18.02.2024 – Alte Bilder, lange Gardinen und Loriot

Während ich am Rosenmontag im Garten Büsche schneide, höre ich den örtlichen Karnevalszug mit viel Täterä durchs Dorf ziehen. Es sind die Tage der Parallelleben. Viele Leute haben über die Karnevalstage frei, sind kostümiert unterwegs und feiern, die anderen Leute, vor allem wenn der Arbeitgeber seinen Hauptsitz nicht im Rheinland hat, gehen völlig normal arbeiten und haben Alltag. Manchmal treffen sich beide Welten in einer Supermarktkassiererin, die mit ernster Miene und pinker Perücke Lebensmittel über den Scanner zieht, oder bei einem Autofahrer, der auf dem Weg zu einer Festivität ist und mit buntem Hut und roter Nase sachlich hinter dem Steuer sitzt. Das ist dann schon wieder witzig.


Am Dienstagmorgen zücke ich den Schnelltest und erweise mich – wie schon vermutet – als coronafrei. Kurz vorher denke ich noch, dass mein Zeitplan für die Woche komplett zusammenbrechen würde, sollte ich unerwartet doch noch positiv sein. Es gibt ja so Geschichten von Leuten, die drei Wochen lang positiv sind. Aber Glück gehabt.


Am nächsten Tag bin ich bei meinem Vater, der zwei große Kisten mit Diamagazinen rausgekramt hat, in die ich „mal reingucken“ sollen. Alles, was nicht mehr in Ordnung oder uninteressant ist, soll weg. Ich beginne mit dem Sichten und entdecke viele Schätzchen, die ich noch nie gesehen habe. Es gibt einen ganzen Kasten mit Bildern aus meinen ersten Lebenstagen. Ich liege hilflos herum und gucke manchmal grimmig – kein Wunder, dass die Bilder nicht gezeigt wurden.

Es gibt auch Bilder aus Zeiten, in denen Karneval ganz selbstverständlich für mich ein Teil des Jahres war.

Zwischendrin entdecke ich ein Bild, das wie inszeniert für eine elegante Modezeitschrift ist. Erstaunt erkenne ich meine Mutter, allerdings nur an ihrem hellrosa, selbstgenähten Mantel, den ich auch als kleineres Exemplar für meine Puppe „Helga“ bekommen hatte. Das rasante Kinderwagengefährt war wohl meines.

Und es gibt Fotos mit meinem Vater und mir, was ein bisschen rührend ist, denn während ich sie ansehe, sitzt er – mehr als ein halbes Jahrhundert später – neben mir. Und mehr als ein halbes Jahrhundert kannte ich meinen Papa nur als sportlich muskulösen Mann, der die schwersten Sachen tragen und auf Händen über die Wiese laufen konnte, und es kommt mir immer noch falsch vor, dass er im Gesicht noch fast wie früher aussieht, ansonsten aber so klein und mager geworden ist. Wenn ich „Papa“ denke, ist sein Bild in meinem Kopf spontan immer noch so, wie er früher aussah und wie ich ihn auf den Fotos sehe.

Nach zwei Stunden habe ich 11 Kästen geschafft. Da werde ich wohl noch bis in den Sommer jede Woche ein paar Kästen sichten und einige Schätzchen entdecken.


Am nächsten Tag fahre ich früh morgens nach Frankfurt. Die Gardinen in der Wohnung des Sohnes sind alle viel zu lang, schaben den Fußbodenstaub auf und lassen sich schwer auf- und zuziehen. Mutti eilt mit der Nähmaschine herbei und macht, während der Sohn arbeiten geht, eine Gardinen-Umnähaktion.

Die zarten weißen Gardinen haben einen eigenen Drall und möchten keine saubere Naht bekommen. Während des Nähens ziehen sie in andere Richtungen und der neue Saum wird etwas krumpelig. Ich gucke mir das Ergebnis an und denke daran, dass ich mein Kleid für das Theaterstück selber nähen will. Was ist schwieriger? Eine Gardine umklappen und mit gerader Naht festnähen oder ein auf Figur geschnittenes Kleid mit Ärmeln nach Schnittmuster ausschneiden und zusammennähen? Ich entscheide, dass der Gardinensaum viel komplizierter ist, um mir meinen Optimismus nicht zu nehmen.


Am nächsten Tag möchte ich in Frankfurt die Loriot-Ausstellung besuchen. Weil ich die Packung mit den Gardinenröllchen Zuhause vergessen habe, die ich aber brauche, um den letzten Vorhang auf die richtige Länge auszumessen und auch aufzuhängen, möchte ich vorher in der Innenstadt noch schnell neue kaufen. Es gibt aber keine. Im Kaufhaus schicken sie mich zum Rollo-Experten, der schickt mich zum Nähzubehörgeschäft, die schicken mich zu einem anderen Kaufhaus, weil ich dran vorbeikomme, gucke ich noch vergeblich in einem Billigladen – und dann – ich habe die Hoffnung schon aufgegeben, gibt es sie völlig selbstverständlich im vorgeschlagenen zweiten Kaufhaus. Dafür bin ich kreuz und quer durch die Frankfurter Innenstadt gelaufen und habe viel gesehen. Ich weiß jetzt, wo es Geschäfte gibt, die keine Gardinenröllchen im Sortiment haben. Falls das mal jemand wissen will.

Bei meinen Fußwegen sehe ich ins originell dekorierte Schaufenster eines Schädlingsbekämpfers und bin tatsächlich fasziniert, weil es so wunderbar altmodisch ist. Die im Schaubild aufgestellten Kornähren erscheinen mir als Umfeld für Frankfurter Nagerwohnraum allerdings nicht ganz korrekt. Aber was weiß ich, wie Stadtnager ihre Vorgärten gestalten.


Vor dem Caricatura-Museum, das sich neben Dom und alten Wandmalereien befindet, und in dem die Loriot-Ausstellung zu sehen ist, steht eine Besucherschlange. Das Museum hat vor zwanzig Minuten geöffnet, und es werden immer nur vier, fünf Leute eingelassen, dann ist die Tür wieder geschlossen. Oh, menno. Na ja, jetzt bin ich extra hier, Gardinenröllchen habe ich auch, da kann ich auch etwas warten. Die Ausstellung ist zwar bis Mai verlängert, aber wer weiß, ob ich es bis dahin nochmal gut schaffe.

Als ich nach etwa zwanzig Minuten drin bin, freue ich mich. Allerdings ist es im Ausstellungsraum sehr voll. Mit langsamen Schritten gehen die Leute dicht aneinander vorbei, vor jedem Bild steht jemand. Ich suche mir Lücken, gucke Bilder an und finde keine Ruhe, um es zu genießen. Das ist mir zu eng. Die Ausstellung selber ist schön, aber viel zu vertraut. Ich kenne so gut wie alles. Es ist einerseits sehr faszinierend, die Originale zu sehen, aber da die Motive mich nicht überraschen, weil ich sie schon als Kind sehr ausgiebig in Büchern betrachtet habe und bis in die Details kenne, gucke ich interessierter auf die handschriftlichen Notizen, die Reste der Bleistiftvorzeichnungen und die Tippex-Korrekturen. Sieh mal an, da hat der Herr von Bülow ähnlich wie ich gearbeitet.

Weil es mir im Ausstellungsraum viel zu voll ist, beschließe ich, die Loriotsachen nicht komplett durchzusehen, sondern über das Treppenhaus in den zweiten Stock zu gehen und dann eben andere ausgestellte Künstlersachen zu betrachten. Der Eintritt gilt ja für alle Räume. Im zweiten Stock geht die Loriotausstellung aber weiter, was mir vorher nicht klar war und was anscheinend nur wenige Besucher bemerken. Auch im dritten Stock gibt es weitere Ausstellungsstücke und noch weniger Besucher, und im vierten Stock ist ein kleines Kino aufgebaut, in dem Szenen aus Loriotsketchen und -filmen zu sehen sind. Ich schlendere entspannt herum, sitze eine Weile im Kino und habe endlich Ruhe, um genauer zu gucken.

Ich bin von den Ausstellungsstücken aber nicht komplett begeistert oder total geflasht. Es ist natürlich schön, die Originalzeichnungen oder Manuskripte und Trickfilmbilder von vertrauten Szenen zu sehen, aber da ich selber zeichne und schreibe, weiß ich, wie die Arbeitsversionen ausfallen. Die Motive kenne ich fast alle und nichts ist neu für mich, sondern eher so, wie ich es auch erwartet hätte.

Es ist eine gute und schöne Ausstellung, aber sehr vertraut und an diesem Tag auch deutlich zu voll für mich. Mehr Unbekanntes oder auch Ungelungenes hätte mich gefreut.


Am Nachmittag nähe ich weiter an den Gardinen und siehe da, wenn ich die zarten weißen Stoffe vorher sehr ausgiebig und doppelt mit Stecknadeln fixiere, dauert das zwar lange, sie lassen sich dann aber recht sauber umnähen. Die blauen Übervorhänge lassen sich trotz ihrer gummiartigen Verdunkelungsrückseite überraschend gut verarbeiten, und aus ihren abgeschnittenen Resten nähe ich einen weiteren Vorhang, den ich mit den Gardinenröllchen dann auch noch aufhängen kann. Fertig!


Ich bleibe eine weitere Nacht in Frankfurt, dann ist Samstag und am Vormittag fahre ich mit dem Sohn herum, um nach den noch fehlenden Wandlampen zu gucken. Die angesagten Designs sind aber nicht das, was er sich vorstellt. Stattdessen kommen wir mit der ersten Balkonkastenbepflanzung zurück und bringen den Frühling auf den Balkon. Mittags essen wir beim sehr chinesischen Chinesen ungewohnte Sachen wie Weizengluten mit Erdnüssen, kalte Ente in Salzlake und Tintenfisch in melasseklebriger, süßer Soße – alles sehr lecker -, dann fahre ich mitsamt der Nähmaschine nach Hause. Das waren drei schöne Tage, die trotz stundenlanger Näherei auch etwas von Urlaub hatten. Und auch die Loriot-Ausstellung bleibt gut in der Erinnerung zurück.