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Blog 827 – 03.03.2024 – Schneiderinnen-Vokabular, Heinz Strunk und Kirschpflaume

Als mein Blick auf die Tüte mit dem Stoff und dem Schnittmuster für das Theaterkleid fällt, denke ich: „Ach, ich könnte doch schon mal die Schnittmusterteile aus dem Papier ausschneiden und auf den Stoff stecken.“ Ich schneide und stecke eine ganze Weile, dann ist der Anfang für das selbstgenähte Kleid getan.

„Jetzt könnte ich noch die Teile aus dem Stoff schneiden“, denke ich und mache dabei die Rocklänge etwas länger und die Ärmel etwas kürzer. Danach will ich lieber nicht weitermachen, denn jetzt wird es ernst. Ich habe doch noch nie ein Kleid nach Schnittmuster genäht – was kann da alles schiefgehen! Außerdem will ich erst irgendwann im März nähen, wenn ich mal drei, vier Tage terminfreie Ruhe habe.

Aber ich könnte die Stoffteile ja zur Probe mal reihen. Reihen – woher habe ich plötzlich dieses Schneiderinnen-Vokabular? Wenn ich die Teile grob aneinandernähe, könnte ich immerhin sehen, ob ich alles richtig anordne und ob mir das Kleid passen wird. Bisher ist das nämlich ein Blindflug nach abgeschätzter Größe. Vielleicht kann ich es sogar eine Nummer kleiner machen?

Mit Nadel und Faden und sehr großen Stichen lege ich los. Gleich bei den ersten Teilen reihe ich zwei falsche Ränder aneinander, lege danach ein Teil beim Bearbeiten auf die falsche Seite und hefte mir dann auch noch den groß markierten Reißverschlussschlitz fröhlich zu. Na toll. Fängt ja vielversprechend an. Bevor ich mit dem Reihen einmal durch bin, trenne ich schon wieder auf. Außerdem ist der Stoff empfindlicher als er aussieht, zeigt die Stecknadellöcher überdeutlich und zieht auch gerne mal einen Faden.

Vorsichtig ziehe ich mir dann das aus den seltsam geformten Einzelteilen grob zusammengeheftete Sackteil über und staune sehr. Das sieht ja schon wie ein richtiges Kleid aus! Es hat eine schöne Passform, und wenn ich es schaffe, die Nähte mit der Nähmaschine richtig sauber zu nähen, wird es wirken, als hätte ich Ahnung vom Kleidermachen. Na, noch sind die Nähte nicht sauber genäht, da sollte ich nicht über ein gelungenes Ergebnis sprechen. Ich muss ja erstmal rausfinden, welche Nähmaschinennadel ich für den weichen, fließenden Stoff brauche und was das „spezielle Reißverschlussfüßchen“ ist, von dem in der Anleitung die Rede ist. Das Internet wird helfen.

Trotzdem bin ich über das Zwischenergebnis schon sehr erfreut. Die Größe ist auch genau richtig und „vielleicht eine Nummer kleiner“ sollte ich lieber vergessen, ehe es in Richtung „Presswurst“ geht.


Heinz Strunk ist im Düsseldorfer ZAKK. Ich mag seinen Humor und seine feine Beobachtungsgabe, habe vor einigen Wochen zum wiederholten Male sein Buch „Fleisch ist mein Gemüse“ gelesen und im letzten Jahr mit viel Spaß seine Mini-Serie „Last Exit Schinkenstraße“ angesehen. Ich finde ihn einfach gut. Jetzt stellt er sein neues Buch „Der gelbe Elefant“ vor, und ich freue mich auf den Abend. Der wird dann aber gar nicht mal so gut. Heinz Strunk liest viel zu schnell und quetscht oft mehrere Silben in das Tempo einer einzelnen Silbe, so dass ich Wörter wie „Wannehade Woche“ erstmal in „War eine harte Woche“ aufbröseln muss, während er beim Lesen schon drei Sätze weiter ist. Manchmal gibt es einen guten Satz, der Lacher auslöst, aber insgesamt macht es mir nur mäßig Spaß. Lieber eine Geschichte weniger und die anderen dafür langsamer und gut verständlich gelesen.

Zur Aufstockung des Programmes singt Heinz Strunk zwischendurch mit hämmernder Rhythmusbegleitung Lieder aus der „Schinkenstraße“. Im Film finde ich die schlimm, aber sehr passend, live kann ich sie in ihrem mehr als unterirdischen Ballermannlevel nur schwer aushalten. Auch dass er sein Kinderbuch „Die Käsis“ mit den passenden Bildern auf der Leinwand nacherzählt, ist mir zu lang. Ich habe den ganzen Abend über das Gefühl, er spult ein zeitfüllendes Programm runter, ohne selber emotional dabei zu sein. Vielleicht ist so eine Präsentation nicht seins und er fühlt sich unsicher und versteckt sich hinter Tempo und vollem Programmzettel. Vielleicht will er es aber genau so machen. Mir ist das nur leider zu öde und hat nicht den Humor, den ich an ihm so schätze. Nur zwischendurch kommt mal für kurze Augenblicke ein spontanes Reagieren, eine witzige Bemerkung oder ein kurzes Grinsen von ihm, mit dem er mich dann sofort erreicht. Am besten finde ich, als er am Ende „Sprichst du Emoji“, eines der Schinkenstraße-Lieder, mit dem das Programm hämmernd begann, ganz alleine auf der Querflöte spielt. Da kommt der Musiker raus und es ist viel Gefühl da. Ich halte das Gefühl für ehrlich, aber da er lange Zeit Unterhaltungsmucke-Musiker war, kann das auch vorgespielt sein. Aber egal. Mir gefällt es.

Als die Veranstaltung vorbei ist, gehe ich mit dem frisch gekauften „Elefanten“-Buch gleich nach Hause und habe keine Lust mehr, noch einige Minuten zu warten, um es signieren zu lassen. Dabei finde ich Heinz Strunk immer noch sehr gut. Nur Lesungsabende scheinen nicht zu seinen Kernkompetenzen zu gehören. Da lese ich seine Geschichten doch lieber selber, betone richtig, lasse Pausen, verstehe jeden Satz, freue mich über die sensible Beobachtung und den guten Humor und weiß sie zu schätzen.


Die Nachbarn bauen eine Terrasse und haben dafür einen Teil der großen Pflanzen auf ihrer Seite des Zaunes entfernt. Damit haben sie eine breite Sichtachse in einen Teil meines Gartens geschaffen. Dass es jetzt eine halbhohe, unansehnliche Mauer gibt, stört mich nicht. Aber ich mag weder, wenn ich beim Schlendern durch den Garten angesehen werden kann, noch, dass ich die Nachbarn, ohne extra hinzugucken, deutlich auf ihrer Terrasse und, noch schlimmer, durch die bodentiefen Fenster in ihrer Küche sehen kann. Vermutlich stört sie das gar nicht, aber mir ist es unangenehm. Ich will frei und unüberlegt herumgucken und nicht bestimmte Blickrichtungen vermeiden. Gegen gestörte Privatsphäre helfen Blätter. Ich fahre zum Baumschul-Center und sehe mich nach pflegeleichten Büschen um. Spontan finde ich auch einen Baum, eine Kirschpflaume, bei der ich mich wundere, dass ich noch nie von so was gehört habe. Sie ist nicht nur bienen- und vogelfreundlich und wird in der Höhe eine schöne Baumkrone bringen, sondern sie wird auch saftige, essbare Früchte haben, die weder Kirschen noch Pflaumen sind, wie rote Mirabellen aussehen, aber keine Mirabellen sind. Ich bin gespannt.

Damit ist die Gartensaison 2024 eröffnet und ich beginne zu hacken, zu graben und zu pflanzen. Das ist ganz schön anstrengend, macht mir aber Spaß. Leider müssen für die Blickachsenumgestaltung die meisten der dort wachsenden Herbsthimbeerpflanzen raus. So ganz schlimm ist das aber nicht, denn abgesehen von dem vielen Gießwasser, dass sie in trockenen Sommern brauchen, wachsen sie zu einem wilden Urwald, in den ich nur schwer komme, um die gar nicht mal so vielen Früchte zu ernten. Es ist zwar wundervoll, reife Himbeeren zu pflücken und gleich im Mund schmelzen zu lassen, wenn mir dabei aber die Nachbarn zusehen, sowieso nur noch halb so gut.

Weil ich gerade loslege, kommt auch der Häcksler zum Einsatz und macht aus abgeschnittenen Ästen …

… Häckselwege, auf denen ich bei Regen laufen kann, ohne schlammige Schuhe zu bekommen. So ist das bei mir: Wer zu hoch wächst, wird Bodenbelag.

Jetzt wäre nur noch schön, wenn die neuen Büsche und der Baum explosionsartig wachsen würden und sofort alles dicht und grün machen. Bis auf die neue Glanzmispel ist alles noch ziemlich kahl. Ich stehe mit halb zusammengekniffenen Augen vor der Stelle und versuche mir vorzustellen, wie es dort mit großen, grünen Büschen und einer dichten Kirschpflaumenbaumkrone aussehen wird. Bestimmt gut. Dauert nur noch etwas.