Blog 843 – 23.06.2024 – Improvisationen, Wecker, Lesung und Puppenspiel
Nach der Dernière wird es ruhiger, denke ich in der letzten Woche noch, aber … nee. Es zieht sogar unerwartet an. Nach den beiden letzten Nil-Vorstellungen am Samstag liege ich um 2 Uhr morgens im Bett. Da ist es dann schon Sonntag. Um 6 Uhr stehe ich auf, trinke einen Kaffee und fahre eine halbe Stunde zu meinem Vater. Der wird am Morgen in den Seniorenurlaub abgeholt, braucht aber noch jemanden, der davor den Koffer durchgeht und eventuell ergänzt. Außerdem ist nicht sicher, ob er in der eigenen Hektik des Aufbruchs beim Einsteigen an alle mitzunehmenden Teile denkt: Koffer, Schultertasche, Gürteltasche, Stock und Rollator.
Als er um halb 10 im Abholauto sitzt und in den Urlaub fährt, fahre ich zurück nach Hause. Eigentlich war ein freier Tag geplant, aber relativ kurzfristig ist der Frankfurter Sohn am Vortag mit der Bahn gekommen, um an einer Spielerunde teilzunehmen, und wir wollen ihn mit dem Auto zurückbringen. Zuhause lade ich also den Gatten und den Sohn ins Auto und wir fahren zu dritt zwei Stunden nach Frankfurt. Dort gehen wir zuerst sehr lecker thailändisch mittagessen, dann bringen wir den Sohn zu seiner Wohnung. Ich rudere noch einige Minuten mit seinem Rudergerät und unter meditativem Wassergeplätschergeräusch durch das Wohnzimmer, trinke einen starken Tee mit Milch und fahre dann mit dem Gatten zurück nach Hause. Als wir ankommen, ist es 17:30 Uhr, für mich gefühlt aber schon nach 20 Uhr. Kein Wunder. Am Vortag zwei Theatervorstellungen gehabt, nur vier Stunden geschlafen und jetzt den ganzen Tag unterwegs gewesen und mehr als fünf Stunden Auto gefahren. Ich halte mich noch vier Stunden vor dem Fernseher wach und falle dann sehr müde ins Bett.
Am nächsten Morgen ist Montag und ein freier Tag für mich. Zeit, um Liegengebliebenes wegzuräumen. Ich stecke das Nil-Theaterkleid und den Rock in die Waschmaschine, sortiere die Schminksachen und Haarklammern und räume meine Requisiten weg. Es ist im Gespräch, dass wir das Stück vielleicht nochmal spielen, darum notiere ich, was ich dazu brauche und lege einige Teile vorerst in eine Tüte. Ich glaube aber nicht, dass wir nochmal gemeinsame Termine finden, weil demnächst sowieso einige wieder mit anderen Projekten beschäftigt sein werden.
Ich bin mitten im Wegräumen, da ruft mein Vater aus seinem Gruppen-Urlaubshotel an und fragt, ob ich ihn wieder abholen kann. Es gefällt ihm nicht, er findet den Weg zu seinem Zimmer nicht sofort und er hat seine Zahnbürste vergessen. Er hat zwar am Morgen eine neue im Supermarkt gekauft, von dort den Weg aber nicht zurück zum Hotel gefunden. Ach, menno. Er ist nicht dement oder verwirrt, er will nur alles sofort und ist ungeduldig, wenn etwas nicht klappt. „Papa, bleib doch erstmal und guck, ob es dir nicht doch noch gefällt!“, schlage ich vor. „Ich kann dich auch am Dienstag oder Mittwoch noch abholen.“ Ich fühle mich, als hätte ich ein Kind im Schullandheim, das nach der ersten Nacht wieder nach Hause möchte. Aus der Nähe von Bremen! 350 km entfernt.
Als ich gerade zu Mittag gegessen habe, ruft der Puppenchef an und fragt, ob ich kommen kann, weil es ein paar unerwartete, aber dringende Extraarbeiten gibt. Ich hatte vorher schon gesagt, dass er mich in so einem Fall anrufen kann, dachte aber bis zum Telefonklingeln, dass das nicht passieren wird. Da ich auch denke, dass ein weiterer Nil-Auftritt nicht passieren wird, scheint die Chance hoch zu sein, dass das ebenfalls klappt.
Meine Puppenbaukiste habe ich am letzten Mittwoch, als ich nach drei Tagen Fuchsnähen spät abends zurückgekommen bin, einfach im Wohnzimmer abgestellt. Danach war Kofferpacken bei meinem Vater angesagt und dann drei Nil-Vorstellungen. Wie gut, dass die Kiste immer noch dort steht! Ich schnappe sie mir, gehe zum Auto und fahre sofort los. Eineinhalb Stunden später bin ich im Sauerland, setze mich in die Werkstatt und nähe los. Ich fühle mich, als wäre ich gar nicht weggewesen.
Auch wenn der Anruf überraschend kam und ich mich auf einen ruhigen Aufräumtag eingestellt hatte, erweist sich die neue Situation als entspannend und völlig in Ordnung. Kleine Nasen zu beziehen und Fell zu nähen dauert seine Zeit, ist aber nicht stressig. Vielleicht ist das sogar die Entspannung, die ich gerade brauche.
Nach mehr als sechs Stunden ist meine Arbeit gemacht, ich packe mein Nähzeug ein und fahre bei untergehender Sonne und Radiomusik eineinhalb Stunden nach Hause. Um Punkt 23 Uhr parke ich vor dem Haus. Gut gelaunt, aber müde.
Eine Stunde später liege ich gerade einschlafend im Bett, es ist Mitternacht, da klingelt mein Handy. Mein Vater ist dran, im Hintergrund ist ein lauter, piepender Klingelton zu hören. Der geht von seinem Handy aus und er hat keine Ahnung, wie er den abstellen kann. Ich auch nicht. Während wir telefonieren, drückt mein Vater wild auf Handytasten und stellt mal den Ton aus, die Stummschaltung an oder auch das Handy aus. Immer wieder rufe ich an und es ist besetzt, weil er nicht aufgelegt hat, oder ich höre gar nichts von ihm, weil er versehentlich stummgeschaltet hat, oder ich höre ihn rufen: „Hallo? Anette?“, während er mich nicht hören kann. Weil er nicht weiß, was er drückt, weiß er auch nicht, wie er was wieder wegdrücken kann. Wenn ich ihn mal erreiche, höre ich weiterhin den nervigen Alarmton. Ich rufe laut: „Dann drück doch mal links unten auf …“, höre: „Ja, mache ich“ und zack! ist alles stumm und mein erneuter Anruf geht ins Leere. Oder die Ansagestimme sagt: „Ihr Anruf wird gehalten“ und ich stecke minutenlang in der Warteschleife. Wenn es nicht mitten in der Nacht wäre, könnte es eine Comedy-Nummer sein. So ist es eher zum Verzweifeln. Auch für meinen Vater, was mir am meisten leidtut.
Eineinhalb Stunden später, es ist halb Zwei und ich bin fast ununterbrochen am Wählen, Rufen, Erklären oder Warten, kommt ein weiterer Anruf von ihm. Im Gegensatz zu den zehn Versuchen vorher, können wir uns beide hören. Auch das Piepen ist weg. Irgendwie hat er die Weckfunktion abgestellt. Er weiß aber nicht wie. Egal. Wir sind erleichtert und wünschen uns eine gute Nacht. Ich überlege, wann ich am nächsten Tag losfahren könnte, um ihn abzuholen, denn nach dieser Nacht wird es ihm noch weniger gefallen. – Am nächsten Vormittag ruft er an, ist gut gelaunt und will erstmal abwarten, ob er es nicht doch noch gut findet. Das Essen ist jedenfalls gut und reichlich. Ich sage, dass ich ihn auch am Freitag oder Samstag abholen könnte, wenn es ihm überhaupt nicht gefällt. Aber ich hoffe sehr, dass er bis dahin Kontakte hat und gerne bleiben möchte.
Am nächsten Tag kommt ein mobiler Service, um unsere Autofrontscheibe, die einen Riss hat, auszutauschen. Auf dem Firmenauto ist ein Bild von rosafarbenen Pflastern über einer zersprungenen Stelle zu sehen. Der Gatte und ich grinsen bei dem Gedanken, dass der Monteur aussteigen, mehrere rosafarbenen Pflaster über den Riss auf unserer Autoscheibe kleben, ernsthaft nicken, in sein Auto einsteigen und wieder wegfahren könnte. Macht er aber nicht. Er setzt gekonnt eine neue Frontscheibe ein und wir sind sehr zufrieden.
Am Abend habe ich Angst, dass der Handywecker meines Vaters wieder um Mitternacht beginnen könnte. Ich schlafe trotzdem ein und kann durchschlafen.
In den letzten Tagen habe ich zwischendurch immer mal wieder an den kurzen Puppenspielszenen für die Froschlesung gearbeitet. Selbst auf der Fahrt ins Sauerland habe ich die Texte mit verstellter Stimme gesprochen, um sie zu üben. Jetzt spiele ich mit Stoppuhr und messe, wie lang meine fünf ausgewählten Puppenszenen dauern. Zu lang, stelle ich fest. Mit der kleinen Lesung und der anschließenden Fragerunde ist schon die Hälfte der 45 Minuten Schulstundenlänge erreicht. Vielleicht brauche ich nur die ersten beiden Puppenszenen. Sollte ich dann noch acht Minuten Zeit haben, kann ich spontan zwei weitere anschließen. Die fünfte kann ich auf jeden Fall streichen.
Ich bereite also vier Szenen vor, für die meine improvisierte Bühne aus Pappe gut geeignet ist. Das Puppenwechseln während des Spielens ist nicht ideal, aber ich werde eine große Tischdecke über den Tisch legen, so dass ich im Fußbereich verdeckten Raum habe. Wird schon klappen. Mut zur Improvisation. Ich freue mich. Seit ich mich mit dem Froschstück beschäftige, wächst die Lust gewaltig an, es in simplerer Form neu zu inszenieren und wieder zu spielen.
Am Nachmittag ruft mein Vater an und verkündet, dass er das Rätsel um den Signalton auf seinem Handy gelöst hat. In der Nacht ging es erneut los, aber es war gar nicht das Handy, sondern ein kleiner Wecker, der auf dem Nachttisch seines Hotelzimmers steht. Den hätte er jetzt einfach abgestellt. Ansonsten gefällt es ihm gut und am Abend werden sie alle zusammen Fußball-EM gucken. Deutschland spielt. Na also, geht doch. Es erleichtert mich sehr, dass ich in dieser Woche nicht einmal nach Norddeutschland und zurück fahren muss.
Am nächsten Vormittag habe ich die Lesungen an der örtlichen Grundschule. Einmal die Giraffenlesung, danach zwei Froschlesungen. Weil der Froschtext so kurz ist, jeweils mit Puppentheaterszenen als Ergänzung. Ich gehe davon aus, dass das gut passt und ich vermitteln kann, wie Buchtexte umgearbeitet und auf der Bühne dargestellt werden können.
Kaum sitzen die Kinder für die erste Lesung, stellen wir fest, dass fast die Hälfte von ihnen schon eine Giraffenlesung von mir gehört hat. Sie würden sie aber alle nochmal anhören, versichern sie. Spontan schlage ich mein Buch „Prinz Ferdinand König“ vor, das in einer demokratischen Hand-hoch-Abstimmung eine leichte Mehrheit erhält. Ich wechsle Powerpoint-Präsentation und Textblätter und lege los. Hui! Die Lesung habe ich irgendwann vor Corona das letzte Mal gemacht und sie enthält freie Erzählpassagen, was ich vergessen hatte. Ich muss mich sehr konzentrieren, um mich daran zu erinnern, wie es dort weitergeht und was ich als Information erzählen muss. Aber es klappt, meine kurzen inneren Ratlosigkeitsmomente kann ich anscheinend mit souveränem Verhalten und wissendem Blick überstrahlen. Die Prinz-Ferdinand-Geschichte kommt bei den Kindern sehr gut an und ein Mädchen ruft am Ende: „Mir hat es sehr, sehr gut gefallen!“, woraufhin ein Junge sehr laut ruft: „Mir hat es am allerbesten von allen gefallen!“ Der ermahnende Blick einer Lehrerin lässt weitere Bemerkungen dazu versiegen.
Danach gibt es für andere Jahrgangsstufen die Froschlesungen, bei denen ich zum ersten Mal die Puppenszenen anfüge. Schon die gelesene Froschgeschichte kommt sehr gut an und die Kinder hören ruhig und sehr konzentriert zu. Die Puppenspielszenen toppen das noch. Ich sehe überall strahlende Augen und gebannte Blicke auf die Bühne. In der ersten Lesung, die aus organisatorischen Gründen nur 40 Minuten dauern soll, spiele ich zwei Puppenszenen, bei der zweiten Lesung alle vier. Zwei reichen, aber vier runden es ab.
Die Kinder lachen vor allem über die zickige Prinzessin und sind spürbar betroffen, als der Froschprinz von ihr rausgeworfen wird. Ein Junge macht mir am Ende der Stunde ein schönes Kompliment, als er fragt, wie ich es geschafft habe, dass die Prinzessin spricht. Ich sage, dass ich die doch selber gespielt und gesprochen habe – ich habe offen gespielt, so dass die Kinder mich die ganze Zeit sehen konnten -, und er sagt staunend: „Das habe ich nicht gemerkt. Die Prinzessin war so richtig echt. Ich habe dich gar nicht gesehen.“ Ein anderes Kind fragt aufgeregt: „Bist du die Stimme vom Papagei bei den 3 Fragezeichen??“ Nein, bin ich nicht, aber ich frage mich, ob das ein Kompliment ist oder nicht. Wie spricht der denn? So zickig wie die Prinzessin? Ich sollte demnächst mal reinhören.
Am Freitagmorgen wache ich auf und bin total entspannt. Die Theatertermine sind vorbei, die Puppenbauzeit am Fuchs ist beendet, die Lesungen samt Puppenspiel sind durch, bei meinem Vater klingelt nachts anscheinend nichts mehr und er möchte am Urlaubsort bleiben. Ich habe ein freies langes Wochenende vor mir, an dem ich aufräumen, die Froschtheater-Puppen einsortieren, im Garten mit der Heckenschere spazieren und einfach mal sitzen und Tee trinken kann. Und packen, denn das nächste Projekt wartet schon.