Blog 844 – 30.06.2024 – Kiefern, Greenscreen und Drehtage
Am Sonntag habe ich einen ruhigen Tag, an dem ich meine Reisetasche packe. In der letzten Woche habe ich in der Werkstatt von Bodo Schulte als Bauassistenz noch am Fuchsfell genäht, in dieser wird der Fuchs vor der Kamera stehen und ich bin Spielassistenz. Für mich heißt das, ich lege überall dort los, wo es gebraucht wird. Angefangen vom Ankleiden und Umziehen des Fuchses, über das Bereithalten und den Einsatz von Werkzeug, dem Blick auf alle Einzelteile, die bei der Szene gebraucht werden, bis zum Mitspielen, wenn die zweite Fuchshand sich bewegt. Es ist ein Rundum-Job, den ich sehr gerne mache. Wenn der „Puppetteer Assistent“ mit wachem Blick dabei ist, fluppen die Dreharbeiten mit Puppe besser und idealerweise wird der Puppenspieler bei seinem anstrengenden Job entlastet.
Am Montag geht es für mich früh los. Schon vor sechs Uhr sitze ich in der Regionalbahn zum Kölner Hauptbahnhof. Es ist sonnig und soll in den nächsten Tagen sehr warm werden, eventuell aber auch gewittrig. Wir haben einige Außendrehs vor, das kann spannend werden.
Von Köln aus fahre ich viereinhalb Stunden nach Berlin. Kurz vor der Ankunft tönt die Ansage durch die Bahn: „Leider kommen wir heute nicht pünktlich in Berlin an. Der Grund: Wir sind sechs Minuten zu früh.“
Nach einer knappen Stunde Wartezeit, in der ich mir am Bahnhof einen Kaffee hole, geht es fünfeinhalb Stunden weiter mit der Bahn über Frankfurt/Oder und Posen bis nach Warschau. Immer wieder sind Felder, Kiefernwälder und ein blauer Himmel mit weißen Wolken zu sehen.
Zwölf Stunden nach meiner Abfahrt komme ich im Hotel an. Ein langer Weg, aber auch toll, dass das so gut mit der Bahn möglich ist. Ich bin müde, nach dem langen Sitzen in der Bahn muss ich aber unbedingt noch etwas herumlaufen. Das Hotel liegt an der Altstadt, und so mache ich eine große Runde durch die mir noch vom letzten Jahr vertrauten Straßen. Die historische Innenstadt wurde im zweiten Weltkrieg von den Deutschen zerbombt und 1944 von SS-Einheiten bewusst mit Flammenwerfern und Sprengsätzen zerstört. Gleich nach dem Krieg begann der Wiederaufbau, der die Altstadt möglichst originalgetreu wiederherstellen sollte. Es ist also alles vor 80 Jahren nachgebaut, wirkt aber sehr alt. Ich finde gut, dass es wiederhergestellt wurde und nicht eine viereckig genormte Neustadt daraus wurde. Auf diese Art ist das alte Warschau noch zu erfühlen.
Am nächsten Morgen haben wir einen Außendreh auf dem Land. Es ist sehr heiß, aber zwischendurch schieben sich Wolken vor die Sonne, die zwar angenehme Kühle bringen, aber nicht gut fürs gleichmäßige Filmbild sind. Zum Glück gibt es kein Unwetter, so dass wir zwar immer wieder Wolkenpausen haben, aber weiterarbeiten können.
Dafür fliegt ein Storch knapp über mir entlang. Ein Storch! Die gibt es bei mir Zuhause nicht. Zuerst denke ich, es sei ein Graureiher, aber dann sehe ich rote Beine, einen roten Schnabel, schwarze-weiße Federn und bin entzückt.
In der Mittagspause mache ich einen kleinen Spaziergang über den nahgelegenen Friedhof. Friedhöfe sehe ich mir gerne an und dieser polnische besteht aus Steinplattengräbern, die mit Kunstblumen und Ansammlungen von Glasleuchten bedeckt sind. Wäre er in Deutschland, wären die Abstände genormt und die Reihen wären schnurgerade. Hier liegen die Gräber ungefähr nebeneinander, aber es ist egal, ob eins mal größer ist und dass die Wege dazwischen krumm verlaufen. Dafür leuchten die Plastikblumen kräftig.
Als ich am Abend ins Hotelzimmer komme, ist mein Buch, das ich am Vorabend noch gelesen und danach aufgeklappt auf dem Tisch abgelegt habe, zugeklappt und ein Lesezeichen steckt darin. Wie nett ist das denn. Hat der Zimmerreinigungsservice Lesezeichen dabei für die Barbaren, die die Bücher aufgeklappt liegenlassen? Anscheinend.
Am nächsten Drehtag geht es in ein Haus, das mitten im Kiefernwald steht. Ich lese oft Bücher von Elizabeth von Arnim, die um 1900 einige Jahre in einem Gutshaus in Pommern lebte und von Kutschfahrten durch die pommerschen Kiefernwälder berichtete, bei denen sie durch die Wipfel der Bäume den weiten blauen Himmel mit weißen Wolken betrachtete. So wird es ausgesehen haben.
Wir drehen im Wohnzimmer, das vollgestellt ist mit Scheinwerfen, Kamerawagen und vielen Mitarbeitern. Die Darsteller setzen sich aufs Sofa, die Puppenspieler quetschen sich dahinter. Es ist eng und warm, aber es klappt alles gut. Die gesamte Crew, die aus deutschen und polnischen Mitarbeitern besteht, ist großartig. Es ist ein ständiges Sprachgemisch aus Deutsch, Polnisch und Englisch, und der Umgang miteinander ist auch in stressigen Situationen sehr freundlich, hilfsbereit und immer wieder mit Gelächter verbunden.
Nach dem Wohnzimmerdreh geht es weiter in eine Halle, wo vor Greenscreen gedreht wird. Zum Glück müssen wir die alles mit Grün bedeckenden Ganzkörperanzüge nicht komplett anziehen, denn wir sind nur mit Teilen des Oberkörpers im Bild. Aber auch das ist schon heiß und unbequem, vor allem, weil auch das Gesicht weitgehend abgedeckt werden muss. Aber es ist notwendig, um uns später aus dem Bild zu entfernen und andere Hintergründe ins Bild setzen zu können.
Nach dem Arbeitstag bin ich erst nach 20 Uhr wieder im Hotel. Ich bin müde, aber ich möchte gerne einen übergebliebenen Teil der Mauer des Warschauer Ghettos ansehen. Der ist etwa eine halbe Stunde Fußweg entfernt. Wann, wenn nicht jetzt? Es kann sein, dass die anderen Drehtage länger dauern und ich keine Gelegenheit mehr haben werde. Also laufe ich los.
Das Warschauer Ghetto wurde als „jüdischer Wohnbezirk“ 1940 von der NS eingerichtet. Etwa drei Quadratkilometer der Stadt wurden von einer 18 Kilometer langen Mauer umschlossen. Im Ghetto waren auf engstem Raum etwa 460.000 jüdische Menschen eingeschlossen. In der Walicow-Straße befindet sich ein Teil einer Gebäudemauer einer Brauerei, die damals die Ghettogrenze war.
Als ich ankomme und vor der Mauer stehe, berührt mich das schon, aber nicht so sehr, wie ich erwartet hatte. Das liegt an der Baustellensituation in der Straße und vor allem an den glänzenden Bürogebäuden, die drumherum und über dem ehemaligen Ghetto gebaut sind. Es ist mir zu viel pralles, modernes Geschäftsleben, das den kleinen Mauerteil, der eine so schreckliche Geschichte hat, gewaltig überstrahlt.
Trotzdem blicke ich mit leicht beklemmendem Gefühl auf die Einschusslöcher und denke an die Berichte, die ich von überlebenden Bewohnern über das Leben im Ghetto und die Deportationen von dort gelesen habe.
Gut, dass es die wenigen Mauerreste als Gedenkstätten noch gibt, auch wenn ich lieber etwas Platz und Raum darum hätte, um es wertiger zu machen. Ich bin froh, dass ich geschafft habe, bis dorthin zu kommen und einen kleinen Rest der Ghettomauer ansehen kann. Für das Museum, das gleich um die Ecke sein muss, habe ich keine Zeit, aber dafür wird es jetzt auch zu spät sein. Ich mache mich auf den Rückweg durch die Stadt, die mal modern, mal historisch aussieht, und in der auch um 22 Uhr noch viele Leute unterwegs sind, die den warmen Sommerabend genießen. Auch das merke ich wieder: In Warschau fühle ich mich auch am Abend sicher. Sogar in den Parks sind spät abends noch viele Leute und sogar Familien mit Kindern unterwegs. Es ist eine freundliche, friedvolle Atmosphäre, in der ich komplett entspannt bin.
Der nächste Drehtag findet in einem Club statt. Der Fuchs spielt Schlagzeug, was ihm anscheinend großen Spaß macht, die Puppenspieler dahinter – also uns – aber sehr anstrengt. Verdreht stehen, Kopf runter und gleichzeitig im Rhythmus auf das Schlagzeug hämmern – puh, das zieht an Muskeln und Sehnen. Aber Hauptsache, es sieht vor der Kamera alles gut aus. Augen auf bei der Berufswahl.
Am späten Abend bin ich völlig verschwitzt im Hotel, dusche und falle müde ins Bett.
Am nächsten Morgen strahlt die Sonne am Himmel und der Blick vom Bett aus ist großartig. Nur das Aufstehen tut weh und ich schleppe mich gebeugt und mit kleinen Schritten ins Bad. Mein Körper fühlt sich an wie nach einem heftigen Umzugstag. Nach einigen Bewegungsübungen geht alles wieder und ich laufe erstaunlich geschmeidig zum Frühstücksbuffet.
Gedreht wird an diesem Tag an einem Haus im Wald, in dessen gärtnerisch angelegtem Garten Kiefern wachsen. Einfach mittendrin auf dem Grundstück. Es sieht skurril aus und kommt mir wie in einem seltsamen Traum vor. Allerdings sind für den Tag heftige Unwetter angesagt. Immer wieder gibt es prüfende Blicke nach oben, ob das Wetter noch hält.
Das Catering während des Drehs ist an allen Tagen sehr gut. Es gibt einen Mitarbeiter, der ununterbrochen Obst und Gemüse schält und daraus Säfte und Smoothies presst. Und es gibt einen Eiswagen, an dem es verschiedene Sorten Eis im Waffelhörnchen gibt. Es ist nicht zu unterschätzen, wie gut so etwas an langen Drehtagen für die Motivation und die gute Laune der Mitarbeiter ist. Ich mag es, wenn ich am Eiswagen vorbeikomme und dort eine kleine Schlange von brav anstehenden Mitarbeitern zu sehen ist.
Zwischendurch gibt es kleine Extras. Am Vortag gab es heiße polnische Gurkensuppe. Sie schmeckte, als wäre ein Glas kleingeschnittener Gewürzgurken plus Gurkenwasser mit Kartoffeln und Möhren gekocht worden. Sehr gewürzgurkenlastig, aber lecker. Diesmal gibt es kalte Rote-Beete-Buttermilch-Suppe mit gehacktem Ei. Die schmeckt wie rheinischer roter Heringsstip, nur ohne Hering. Ebenfalls sehr lecker.
Am Abend scheint die Sonne noch am Himmel und blinzelt durch die Kiefern, aber für die Aufnahme wird sie durch eine Kunstsonne ersetzt, die die Terrasse erhellt. Film eben.
Die Außendrehs sind gerade geschafft, als zwar kein Unwetter, aber kräftiger Regen losgeht. Während es draußen nass wird, machen wir noch den letzten Innendreh im Haus. Und dann: Cut! Drehschluss. Es ist alles geschafft.
Am nächsten Morgen leuchtet Warschau schon wieder sonnig und einladend, aber es ist Abreisetag.
Es geht zum Bahnhof und von dort an polnischen Kiefernwäldern vorbei, über Posen, Frankfurt/Oder, Berlin und für mich bis nach Köln.
Nach zwölf Stunden Reisezeit bin ich Zuhause und streichel die Katze, die froh ist, dass das tagelang vermisste und verlorengegangene Familienmitglied wieder da ist. Der Gatte hat mich vom Kölner Hauptbahnhof abgeholt und freut sich auch. Und auch ich freue mich, dass ich wieder da bin, aber auch, dass alles so gut geklappt und Spaß gemacht hat.