Blog 896 – 29.06.2025 – Glühwürmchen, Skorpion, Fugenkratzen und Flucht
Chill-Sonntag. Ich habe am schon Vortag viel an der Treppe gearbeitet und es ist draußen so heiß, dass heute jeglicher Funke von Spaß am Schleppen, Klopfen und Treppenbauen von der knalligen Sonne erstickt wird. Mir ist es zwar langweilig und das untätige Herumsitzen passt mir auch nicht, aber ich kann mich auch nicht aufraffen, irgendetwas zu beginnen. Es kommt mir alles zu anstrengend vor. Vermutlich kann ich einen ruhigen Tag brauchen.
Zum Ausgleich mache ich Piroggen zum Mittagessen, die eine Füllung aus den Resten des asiatischen Essens vom Vortag haben. Das ergibt polnische Piroggen mit asiatischer Füllung. Dazu gibt es sanft geschmorte Zwiebelringe, die mir in der letzten Minute, als ich nicht mehr auf sie gucke, unten leicht anbrennen, Schmand, der zur asiatischen Füllung seltsamerweise gar nicht passt, und – weil ich keine Preiselbeeren im Glas vorrätig habe – frische Granatapfelkerne, die unerwartet gut passen. Dazu Salat.

Insgesamt lecker, aber für dieses heiße Wetter nach dem Schwenk durch die Butter viel zu mächtig. Ich hätte lieber nur Salat gehabt, wollte aber unbedingt die Mittagsessensreste verwenden. Und mal wieder Piroggen essen. Immerhin konnte ich den viel zu hohen Aufwand in der kühlen Küche betreiben.
Am Abend gehe ich wieder in die Laube und freue mich auf dem Weg dahin im halbdunklen Garten über die leuchtenden Nachtkerzen. In diesem Jahr habe ich ihnen mehr Platz zum Wachsen gelassen und das finde ich jetzt gut.

Ich lese noch fast zwei Stunden lang, gucke dann fasziniert den Glühwürmchen vor der Laube zu – diesmal ist es nicht nur eins, es sind mehrere, die als kräftige Leuchtpunkte herumschweben -, und schlafe dann tief und fest. Am Morgen wache ich auf und der erste Blick vom Laubenbett macht sofort Urlaubsgefühle.

Aber statt Urlaub habe ich zu tun. Mit Unterbrechungen zum Ausruhen, Abkühlen, Kaffee- oder Teetrinken arbeite ich den ganzen Tag und am Abend ist die Treppe mit all ihren Übergängen aus kleinen Basaltsteinen fertig. Ich mochte den alten Aufgang zur Terrasse sehr, aber er war tatsächlich nicht ungefährlich, weil er bei Staub und Regen rutschig sein konnte. Die neue Treppe schmiegt sich erstaunlich gut um die Kurve und lässt sich sehr gut gehen. Sie ist nicht perfekt maßgenau, aber das ist mir ja völlig wurscht. So wie sie ist, passt sie zu mir und dem Garten.


Der Katze gefallen die bequemen Stufenplatten ebenfalls.
Am nächsten Tag fege ich die ausgerissenen und nur zur Seite geworfenen Wurzeln zusammen, räume die restlichen Splitsäcke und Pflastersteine weg und die Terrasse auf und dekoriere die Ränder der Treppe mit Steinen und Steingartenpflanzen. Außerdem entferne ich alle Solarlichter, die bisher kleine Ecken hübsch beleuchtet haben, denn wenn da oben Glühwürmchen wohnen, müssen die es dunkel haben, um in ihrer Partnerwahl nicht von leuchtenden Lampen irritiert zu werden.

Im Garten blüht und fliegt es sehr zufriedenstellend. Dass dort Blindschleichen, Eidechsen, Holzbienen und Glühwürmchen wohnen und die Insektenhotels gut ausgebucht sind, halte ich für ein gutes Zeichen.

Ein nicht mal sehr ängstliches Insekt sitzt plötzlich neben mir und beobachtet mich. Es hat vorne einen kleinen Rüssel und hinten einen aufgerollten Skorpionschwanz. Mit dem bewaffneten Aussehen und der eigenen lässigen Ruhe wirkt es ein wenig gefährlich. Was ist das? So was habe ich noch nie gesehen. Ich suche im Internet und finde es sofort: Eine Skorpionsfliege. Sie zählt zu den Schnabelfliegen – ein Begriff, den ich nie gehört habe -, ist ganz ungefährlich, frisst Obst und tote Insekten, war das „Insekt des Jahres 2018“ und der anscheinende Skorpinstachel ist das Genitalorgan. Interessant.

Auch bei meiner Bodendeckerrose ist interessant, dass es in der Menge gleichförmiger Blüten immer wieder einzelne gibt, die anders sind und das ausleben. So muss es sein.

Abends möchte ich in der Laube schlafen gehen und vorher noch etwas lesen. Zufällig werfe ich einen Blick auf den Tisch, auf dem die Nähsachen und die Katze liegen. Spontan ändere ich meinen Plan, setze mich hin, nähe am zweiten Katzenvorderbein und höre ein Krimihörspiel. Das tut mal wieder gut. Von der Grob- zur Feinmotorik und dazu eine alte Radiosendung auf die Ohren. Ich habe immer noch keine Ahnung, wie lange ich an dieser Katze noch herumnähen werde. Es ist noch einiges zu tun und das wird noch ziemlich viele Mordfälle dauern.

Um die Laube herum schweben und sausen Glühwürmchen, und als das Hörspiel fertig ist, lösche ich das Licht und versuche Glühwürmchen zu fotografieren. Die schalten sich immer an und ab, fliegen blitzschnell weg, schweben hell leuchtend vor mir, bis ich sie scharf im Sucher habe und abdrücken will, und sind dann verschwunden. Ich muss selber lachen, wie ich durch die Dunkelheit stolpere und sie mich immer wieder reinlegen. Im festgehaltenen Bild sieht das alles lange nicht so verzaubert und wundervoll aus wie in der Wirklichkeit.

Eines der Glühwürmchen fliegt leuchtend in die dunkle Laube und setzt sich dort auf die Wand. Ein grün strahlender Punkt ist zu sehen. Das ist die Gelegenheit, um ein Glühwürmchen mal nah anzusehen. Ich drücke den Lichtschalter und sehe ein völlig unscheinbares Insekt, das nicht mal besonders niedlich aussieht. Eher Richtung Küchenschabe. Ich mache ein Foto, dann lösche ich das Licht wieder und kurz darauf schwebt ein magisches Märchenwesen an mir vorbei nach draußen. Man sollte nicht immer so genau hinsehen.

Am frühen Morgen werde ich wach, weil eine Mücke mich gerade im Gesicht sticht. Ich schlage mit der Hand nach ihr und treffe sie. Glaube ich. Kurz darauf höre ich sie wieder sirren. Ich richte mich auf, sehe sie vor mir fliegen und klatsche sie erneut platt. Es ist erst 5 Uhr 20, ich kann noch etwas schlafen. Kaum liege ich, sirrt sie schon wieder neben meinem Ohr. Jetzt bin ich hellwach. Nach mehreren Versuchen erwische ich sie, könnte jetzt ungestört weiterschlafen, bin aber hellwach. Fängt der Tag eben früh an.
Es ist Mittwoch, mein wöchentlicher Vater-Tag. Einkaufsrunde, Post durchsehen, mit meinem Vater eine Liste zusammenstellen, was er alles für den Besuch der Tagespflege am nächsten Tag braucht, und was alles nicht. Ich packe eine Tasche vor, in die er am nächsten Tag nur noch sein Notizbuch einpacken muss. Außerdem braucht er eine Garnitur Wechselwäsche, bei der ich völlig vergessen hatte, dass die namentlich gekennzeichnet sein sollte. Am Vorabend fiel es mir ein, aber da war es zu spät, praktische Bügeletiketten zu bestellen. Also zum Bestellen wäre es nicht zu spät gewesen, aber zum per Post Erhalten und Aufbügeln. Also greife ich zu Nadel und Stickfaden und pokle die Initialen mit Stopfwolle in die harten Kleidungsetiketten. Schöne Stickerei sieht anders aus, aber es ist lesbar und zu gebrauchen.

Zwischendurch ruft die Heizungsfirma an und möchte einen Termin ausmachen. „Morgen?“, fragt die Dame im Büro. Ich frage zurück: „Geht es auch heute? Ich BIN gerade bei meinem Vater.“ „Nein, leider nicht.“ Schnell überlege ich, ob ich dann lieber nach dem nächsten Mittwoch fragen soll, aber nein, da bin ich mit meinem Vater beim Zahnarzt und weiß nicht, wie lange es dauert. Der Mittwoch in der Woche danach? Aber dann zieht sich alles ja immer länger hin. Irgendwann ist Urlaubszeit und danach ist vielleicht der Techniker krank und blitzschnell ist Herbst und die Heizung immer noch kaputt. „Ja, dann morgen, am Donnerstag“, stimme ich zu und seufze innerlich schwer. „Es kommt jemand zwischen 11 und 13 Uhr“, sagt sie.
Am nächsten Tag bin ich um kurz vor 11 Uhr bei meinem Vater. Der ist am Morgen positiv gestimmt zur Tagespflege abgeholt worden. Als es um 11 Uhr nicht klingelt, beginne ich im Garten die gut bewachsenen Fugen auszukratzen.

Zwischendurch gibt es einen kleinen Regenschauer, danach mache ich weiter. Es wird 12 Uhr, es wird 13 Uhr. Ich arbeite mich Meter für Meter durch die Fugen. Da klingelt es endlich. Es ist 14 Uhr 10. Der Vorteil der Warterei: Die Fugen sind weitgehend frei. Um ganz fertig zu werden, hätte ich noch etwa eine Stunde gebraucht, aber das will ich dem Techniker jetzt nicht vorhalten.

Nach einer Stunde Schrauben und Testen an der Heizung steht fest: Die Gasleitung und ihre Übergänge sind dicht, das Gerät für die Zündsteuerung ist defekt. „Das ist ja mal gut“, freut sich der Techniker. „Ich hatte schon fünf bis sechs Stunden eingeplant, um hier Stück für Stück die Leitung zu testen.“ Fünf bis sechs Stunden?? Ich gucke ensetzt und hoffe, dass er das nicht merkt. Nicht so gut ist, dass ausgerechnet das Steuerungsteil den Fehler hat, denn das ist das Teil, das nicht einfach zu ersetzen ist. Aktueller Schritt: Der Techniker fährt erstmal wieder und hört sich um, ob ein Kollege eine Idee hat. Mein bisheriger Optimismus bezüglich einer Reparatur bekommt pessimistische Einschläge.
Um halb Vier fahre ich nach Hause, trinke einen Kaffee und telefoniere dann mit meinem Vater, der gerade von seinem ersten Tag bei der Tagespflege zurückgekommen ist. „Ich glaub‘, da gehe ich nicht mehr hin“, begrüßt er mich düster. „Warum??“, frage ich mit verzweifeltem Unterton. „Es waren nur fünf Leute da. Die haben sich da den ganzen Tag bemüht, die paar Leute zu unterhalten.“ Okay, es waren ihm zu wenig Leute da. Das kann ich verstehen. Vermutlich waren drei davon auch noch dement, so dass er sich nicht unterhalten konnte. Ich schlage ihm vor, noch zwei- oder dreimal hinzugehen, ehe er sich entscheidet, denn als ich mit ihm zum Anmelden dort war, war die Gruppe wesentlich größer. Ach, menno, da dachte ich, jetzt sei er donnerstags gut beschäftigt und vergnügt, und jetzt das. Dabei ist er so erfreut hingefahren.
Am Abend fahre ich zwei Dörfer weiter nach Metternich. Das befindet sich geografisch am äußersten Rand der Eifel, weswegen es im dortigen „Kulturhof Velbrück“ im Rahmen der lit-eifel eine Lesung gibt. Als ich die Ankündigung zur Lesung sah, war ich wegen des Themas sofort interessiert. „Marseille 1940 – Die große Flucht der Literatur“ handelt von Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen, die sich schon 1940 als Geflüchtete in Frankreich befanden und nach dem Einmarsch der Deutschen erneut flüchten mussten. Ich kaufte sofort online eine Eintrittskarte und erst danach dachte ich, dass es schlau wäre, vorher mal nach dem Autor und dem Buch zu recherchieren, um zu wissen, ob das überhaupt was ist. Na, jetzt war es zu spät. Ich googelte nachträglich und erfuhr, dass nicht nur Uwe Wittstock als Autor, Lektor und Literaturkritiker recht bekannt ist – außer bei mir, aber das heißt nichts -, sondern das Buch auch mehr als sechs Monate auf der Spiegel-Bestsellerliste stand. Das sah gut aus.
Also ab in den Kulturhof Velbrück, den ich sehr mag. Ich hatte dort mal eine Kinderbuchlesung und habe im selben Raum Puppentheater für Grundschulkinder gespielt, in dem jetzt die Lesung stattfindet. Und die ist richtig gut. Marietta Thien, die Leiterin des Velbrück-Verlages moderiert, stellt vor und fragt nach, und Uwe Wittstock, erklärt, erzählt und liest.

Es ist ein Sachbuch in Erzählform, das aber nicht phantasievoll zusammengefügt wurde, sondern sich an Biographien, Tagebücher und Quellen hält. So wie Uwe Wittstock ruhig, klar und treffend erklärt, so schreibt er auch. Das Thema ist spannend und berührend, die Verzweiflung und der Schrecken sind nicht nur nachvollziehbar, sondern nah. Mir gefällt der Umgang mit dem Thema sehr. Ich freue mich jetzt schon auf das Lesen meines frisch gekauften Buchexemplares.
In der nächsten Woche soll sehr heiß werden. Wie gut, dass die Treppe fertig ist. Ich gieße jetzt schon mal gründlich den Garten und hoffe, dass die Hitze in der Luft nicht Blätter an den Bäumen und Büschen blitztrocknet. Die Klimakrise kommt mit schnellen Schritten, die Auswirkungen fangen ja jetzt erst an und werden schlimmer werden, und die aktuelle Merz-Regierung legt der Wind- und Sonnenenergie immer dickere Steine in den Weg. Zurück zu fossilen Brennstoffen. Für die alternativen Energien werden immer neue Hürden gesetzt. Wenn Politiker*innen, die im Kopf irgendwo „früher“ leben und den vermeintlich einfacheren Weg gehen wollen, über die Zukunft bestimmen, wird das nichts. Wo sind die Grünen, wenn man sie braucht?
Für den Samstag habe ich die Eröffnungsfeier von „bildhau“, einem Geschäft für Bildhauer-Zubehör, im Kalender stehen, die von Köln in einen Vorort gezogen sind, den ich viel besser erreichen kann. Aber dann streiche ich kurzentschlossen den Termin für mich. Es wird eher wenige Parkplätze geben und es soll heiß werden. Ich bleib mal lieber ein bisschen ruhiger, die Woche war voll genug für mich.