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Blog 788 – 04.06.2023 – Wald lichten, vier Zehen und Maybebop

Das Pfingstwochenende ist perfekt sonnig. Ich verbringe es einige Stunden lang im hauseigenen Wald, wo ich mich durch die Wildnis kämpfe. Der „Wald“ ist ein Teil unseres Gartens, der, wie alle Teilbereiche, einen Namen zur Orientierung hat. Es gibt den „Grillplatz“, „hinter dem Grillplatz“, „die runde Ecke“, „unter der Kastanie“, „Sitzplatz am Kräutergarten“, und noch mehr. Trotz der eigenen Namen sind die meisten Gartenbereiche nur wenige Quadratmeter groß. Der „Wald“ gehört zu den größten und hat um die 40 Quadratmeter. Als Wald ist das sehr überschaubar – wenn man ihn überhaupt betreten kann. Das hat seit dem letzten Herbst keiner mehr gemacht, so dass Brennnesseln, Klebkraut und Brombeerranken eine kompliziert verflochtene Verbindung mit hingeworfenen alten Ästen eingegangen sind und den Bereich unbetretbar machen. Außerdem sind die Haselnussbüsche kräftig ausgetrieben und wachsen nicht nur bis zum Zaun, sondern auch in und über die Nachbargärten.

Mit dicken Handschuhen und großer Astschere lichte ich aus. Zumindest der Zaun und der Weg sollten frei sein. Wenn die diesjährigen Austriebe in wenigen Jahren dicke Äste sind, wird es kompliziert. Der entstandene Durchgang an den Zaunrändern sieht nicht besonders hübsch aus, erleichtert mir aber das Kontrollebehalten über Brombeerranken und Efeu und wird vermutlich ab jetzt auch bequem von Katze, Igel und anderem Getier als Weg genutzt.

Nach der Aktion habe ich Brombeerranken, Ausgerupftes und viel Grünzeug auf dem Grillplatz aufgehäuft sowie eine Menge entlaubter Äste, die auf den Häcksler warten.

Das Wetter bleibt sonnig und die Solaranlage auf dem Dach erstaunt uns weiterhin mit ihren unerwartet guten Werten. Wir können gar nicht so viel Strom verbrauchen, wie sie erzeugt. Aber es ist Sommer, die Lieblingszeit der Solaranlagen. Mal sehen, wie das bei trübem Wetter und im Winterhalbjahr sein wird. In zwölf Monaten wissen wir den Mittelwert eines ganzen Jahres und ich vermute, dass wir darüber immer noch erfreut sein werden. Wirklich Geld verdienen lässt sich mit einer privaten Dach-Solaranlage nicht, aber die größere Unabhängigkeit vom Stromlieferanten und die Nutzung einer natürlichen Energiequelle ist ein guter Schritt in die richtige Richtung.

Meinen Kreativtag nutze ich ganz spontan zum Steineklopfen. Auch wenn es bei den Theaterstücken kribbelt, merke ich auf einmal, dass das Steinhauen genau das ist, was ich gerade machen möchte. Oben im Garten, weit weg von der Welt, klopfe ich mit dumpfem Ton und meditativer Gleichmäßigkeit an meiner sonnenbadenden Dame herum.

Die Haltung eines Beines gefällt mir noch nicht, es gibt aber zu wenig Stein, um die Dame so sitzen zu lassen, wie ich es gerne haben möchte. Kurzentschlossen haue ich einiges weg und ändere eine Beinposition, so dass sie danach zwar sehr verschlungen sitzt, mir in den Proportionen aber besser passt. Als ich am Nachmittag aufhöre, sehe ich, dass ich am neuen Fuß nur vier Zehen vorgearbeitet habe.

Da kommt die Puppenbauerin durch. Bei Klappmaulpuppen mache ich das immer so, denn da sehen vier Finger oder Zehen natürlicher als fünf aus. Witzig ist dabei, dass ich bei den steinernen Händen fünf Finger gearbeitet und die falsche Zehenanzahl während des Arbeitens überhaupt nicht bemerkt habe.

Die vier Zehen fallen zwar kaum auf, lassen mir aber keine Ruhe. Darum klopfe ich am nächsten Tag noch etwas weiter und hole fünf süße, schnuckelige, staubige Zehen aus dem Stein. Geht doch.

Maybebop treten in einer Schule in Euskirchen, einem der größeren Nachbarorte auf. Oliver Gies, einer der Maybebops, macht tagsüber einen Workshop mit dem Schulchor und am Abend gibt die Gruppe ein Konzert. Vermutlich singt dann zuerst der Chor, was gut oder gar nicht mal so gut ausfallen kann. Aber: Maybebop – A-cappella – im Nachbarort! Dafür nehme ich jedes Chorvorprogramm geduldig mit.

Wie schon gedacht, startet der Chor den Konzertabend, der ein Projektchor aus Schüler:innen, Lehrer:innen und Interessierten ist. Zuerst mit einer kleinen A-cappella-Formation, die „Ode an die Heimat“ von Maybebop singt. Sehr gekonnt und klasse – ich bin erstaunt. Danach betritt der Chor die Bühne. In einer Schlange. In einer langen Schlange. Die Zuschauer beginnen bei den ersten Ankommenden zu klatschen und dürfen natürlich nicht mehr aufhören, bis die letzten da ist, auch wenn die Arme lahm werden. Hätte man gewusst, wie viele da kommen, hätte man den Applaus lieber nicht gestartet. Der Chor hat eine sehr sympathische, engagierte Leiterin, beginnt zu singen und – ist toll. Wirklich klasse! Er singt „Ebony and Ivory“ und „I will survive“, hört sich sehr harmonisch an und ich hätte gerne noch mehr anhören können. Was für eine Schule! Mit so einem guten Gesang und drei Bigbands. Wenn ich nochmal zur Schule gehen müsste, dann zur Marienschule nach Euskirchen.

Trotz des guten Vorprogramms freue ich mich natürlich sehr, als Maybebop beginnt. Das Programm „Best of – 20 Jahre Maybebop“ habe ich vor neun Monaten in Düsseldorf schon gehört, freue mich aber, es nochmal zu erleben. Maybebop kann ich ja gar nicht zu oft hören. Zu meiner Überraschung gibt es auch ganz neue Lieder, die schon für die nächste Tour eingeprobt werden und die mir sehr gefallen.

Es ist wieder großartig, geht durch viele musikalische Genres und springt von Sozialkritischem zu Kinderlied zu Jazzigem und zum eindrucksvollen „Erlkönig“. Richtig gut gemachte A-cappella ist beeindruckend. Die Zuschauer klatschen schon von Beginn an gut, werden aber immer begeisterter. Dem Zuschauer neben mir, der zum ersten Mal bei einem Maybebopkonzert ist, kommen zwischendurch die Tränen, weil er so emotional aufgewühlt und berührt von dem Gesang ist. Es haut ihn quasi um.

Ich bin ja ursprünglich großer Wise Guys Fan, auch wenn sie mich in ihren letzten Jahren musikalisch ziemlich verloren haben, als es verstärkt um Vokal-Pop und hämmernde Rhythmen ging und von ihnen immer wieder vermittelt wurde, dass sie ihre Musik anstelle der A-cappella-Versionen gerne als Band mit begleitenden Instrumenten hätten. Als wäre eine Band eine Aufwertung. Im Gegenteil, finde ich. Band kann jeder, aber A-cappella so zu singen, dass ohne Instrument alles dabei ist, was das Lied braucht, das ist die große Kunst. Vermutlich sitze ich auch darum immer so glücklich bei Maybebop, weil sie allerbeste A-cappella machen, gekonnt mit ihren sehr guten Stimmen umgehen, außergewöhnlich gute Arrangements haben und ihre große Freude und die Überzeugung für diese Musikrichtung deutlich zu merken sind.

In Euskirchen sind sie zum ersten Mal, weil, wie sie ein bisschen im Scherz sagen, der Bereich um Köln früher von den „Wise Guys“ und „Basta“ abgedeckt war. „Jetzt gibt es Wise Guys und Basta nicht mehr, jetzt können WIR kommen“, sagen sie lächelnd und wirken trotzdem bescheiden, als wäre ihnen nicht bewusst, mit was für einer Qualität sie singen.

Tiefenerfreut, voll mit guter Musik und in bester Laune fahre ich nach dem Konzert nach Hause. Was für ein wunderschöner Abend.